Gedichte

Die Kugel fällt

Die Kugel fällt
auf das weiße Papier
und zeichnet Ketten
in den unberührten Schnee

Es reißen Stoffe 
auf der Haut
wie Eierschalen

Die leeren Hüllen
die wir sind
treiben uns 
aufs tote Meer

Gedankenpaläste
für die nächst 
größeren Tiere

An den Wänden 
gefrieren Schatten
für alle Generationen



Poetischer Zustand

Alles ist
von Bedeutung 
schwer
Blütenblätter
herabfallend
scheinbar
zufällige Begegnungen
beiläufige Blicke

Ein Wandeln 
am Rande des Wahns
Poetisierung 
des Gewöhnlichen

Momente
zur Sinnhaftigkeit
verdichtet
erheben sich 
aus den wüsten
Trümmerlandschaften
der Nebensächlichkeiten

Der Pulsschlag 
des Essentiellen
noch spürbar
unter dem 
was die stumpfe
Oberfläche
uns verstellt



Hinter dem Vorhang

Unkonkrete Gedanken
tauchen auf
wenn die Luke 
sich schließt
Unkonkret 
aber verdichtet
Gedanken 
wie Rohdiamanten
brauchen wir
für unser Handwerk
In Fieberträumen
gekocht
Heißgetränke
für Gleichgesinnte 



Schwund

Durch ein Loch 
in ihrem Kopf 
entwichen ihre 
unerfüllten Träume
So fing es an

In ihrem Gesicht
dass schon seit Jahren 
ganz abgetragen war 
bildeten sich feine Risse

Nach und nach
bröckelte die Fassade 
und eine tiefdunkle
Leere kam zum Vorschein
die sie immer wieder 
verstecken wollte

Es vergingen noch
ein paar Jahre
bevor sie restlos 
verschwand



Traumschaden

Die Coronapandemie
liegt wie ein 
böser Traum 
hinter uns
Unsere Erinnerungen
milchtrüb und schwer 
wie ausgelassene Butter
so flüchtig wie Schnelltests
ungreifbar wie Aerosol 
Die Erinnerungen 
sind noch fühlbar
im Verborgenen
ereignislos und stumpf
wie quarantänebedingtes 
Homeoffice
Vereinzelte Ansteckungen
rufen uns 
den nächtlichen Alpdruck 
wieder ins Bewusstsein
Corona
Covid
Sars-CoV-2
Sie leben weiterhin
unter uns 
in unseren Körpern
in unserer Luft
Gedanken an pathologische 
Langzeitschäden
schieben wir 
unsicher beiseite
ebenso die Folgen
von Social Distancing
und Isolation
Wo sind die Gespräche
ohne Medienbezug
Unser Konsumverhalten
besorgniserregend
Suchtverlagerung 
vom Smartphone
an die Theke
social media addicted
zappeln die Daumen
in den Taschen
gierig nach der 
neuen großen Story
Wir haben uns so sehr
an die Passivität gewöhnt
dass wir das Prinzip Vita activa
nur noch über Wikipedia 
erfahren können
Politischer Aktivismus 
heißt jetzt Doomscrolling 
Reizsüchtig klicken wir uns 
durch das Leben der Anderen
oder was nach der 
Selbstinszenierung
noch davon übrig ist
Wie viele weitere 
Stunden
Tage 
Monate
vor den Bildschirmen
brauchen wir noch
um unseren 
Medienhunger
zu stillen
Wie viel Zeit
in der wir 
keine echten Erfahrungen
mehr machen
Videoclips und Bilder
collagenhaft 
zusammengesetzt
Blutleere Samples
die wir wenige 
Augenblicke später 
schon wieder 
vergessen haben
Wir fristen ein Dasein
im Schlummermodus
Drehen uns schlaftrunken
in unseren Betten
bereit für neue Träume



Trauma

Du weißt nicht
was es ist
aber etwas
brennt in deiner Brust
Du siehst 
in den Spiegel 
und weißt 
da ist etwas
das du nicht 
sehen kannst
Du hörst 
deine eigene Stimme
und weißt
dass sie nicht dir gehört 
Du spürst nur
Flammen und Stein
und bewegte Luft
doch die Erde
unter deinen Füße 
spült es hinweg



Fenster putzen

Fenster putzen
sagt sie 
Fenster putzen
ist schon gut
um nicht mehr 
den ganzen Dreck
sehen zu müssen 
wenn man 
hinausschaut
sondern einfach 
die Welt sieht
so wie sie ist



Ein Bodybuilder

Ein Bodybuilder
mit blau verspiegelter 
Sonnenbrille
schiebt seinen Kinderwagen
mit einem Arm 
die palmengesäumte
Strandpromenade 
entlang
Dabei achtet er 
peinlich genau darauf
welche Muskelpartien
er anspannt
Sein Vater oder
Schwiegervater
ist dabei
Er schämt
sich etwas 



Back to the roots

Die Pflanzen
in unserer Wohnung 
gehen ihrem Ende 
entgegen 
Sie bestehen
nur noch
aus Wurzeln
in riesigen Töpfen



Verdrängung

Die Wohnungen werden zu eng
Das Zeug wird zu viel
Wir passen nicht mehr rein



In den Vestibülen

In den Vestibülen
zogen sie 
ihre Schuhe nicht aus
So trugen sie
ihren Schmutz 
in alle Räume fort



Ich trat ans Fenster

ich trat ans Fenster
und sah hinaus
ich trat ans Fenster 
und sah hinaus
immer wieder 
und wieder
sah hinaus 
und kam nicht weiter
ich trat ans Fenster
und die unsichtbare Scheibe 
versperrte mir den Weg
ich kam nicht weiter
und sah hinaus
und nichts hielt mich auf
doch ich kam nicht weiter
und die unsichtbare Scheibe
versperrte mir den Weg
versperrte mir die Sicht
und plötzlich war ich blind
ich konnte nichts mehr sehen
und ich trat ans Fenster
immer wieder 
und wieder
und sah hinaus
doch irgendwann
gab sie nach
die Scheibe
gab nach 
und zersprang
und ich mit ihr
und ich trat durch das Fenster
und nichts hielt mich auf
da war ich draußen
und ich trat ans Fenster 
und sah hinaus
und sah hinein 
immer wieder
und wieder
und die Scheibe am Boden
und ich neben ihr



Am Strand

Wir liegen 
an einem makellosen 
leeren Strand
Die Zeit 
schmilzt dahin
Einzig getaktet
vom Rauschen 
der Wellen
Ein Kassenzettel
wird über
den heißen Sand
geweht



Die Schwere

Eine Schwere legt sich
auf uns nieder
matt und stet
und unbezwingbar
Sie droht uns von innen 
zu zerreiben

Wir sehnen einander 
nach Normalität 
Ein Begriff
der noch nie 
so klar verstanden 
der noch nie
so eindeutig 
gebraucht wurde

Das gemeinsame
unbeschwerte Atmen
das unbeschwerte Sich-Bewegen
das unbeschwerte Da-Sein
fehlt uns zusehends 

Es dürstet uns
nach Begegnungen 
mit Freunden 
nach weinseliger
Gemeinschaft 
nach hemmungslosen
Tänzen der Freude
und übernächtigten Gesprächen
in den wogenden Massen 

Es fehlt die Sonne
Es fehlt das Licht
das wir einander sind
Es fehlt das Lächeln
das Grinsen 
das Lachen
jeden Morgen 
jeden Abend 
jede Nacht 

Dieser Ausdruck 
den wir mit
bloßen Worten 
bloßen Augen 
bloßen Gesten
nicht formen können
nicht imstande sind 
zu zeigen
dass die Schwere 
uns nichts anhaben kann 
wenn wir nur
aufeinander achtgeben
so dass die Schwere
auch wenn wir sie
schier endlos
mit uns herumtragen 
nicht herunterziehen wird
weil wir wissen 
dass da noch mehr kommt
weil wir wissen 
dass da Hände sind
die die Schwere 
von uns nehmen werden 
und die uns zeigen
was wir aneinander haben



Auf Kreta

Ich reise durch Griechenland
und fühle mich wie Henry Miller
Ich erkunde Kreta
und fühle mich wie Kazantzakis
Ich sitze am Strand 
und fühle mich wie Hemingway 
Ich kehre nach Deutschland zurück 
und fühle mich wie Kafka



Das Gegenteil von konservativ

In sagenhafter Dummheit
bin ich lange Zeit gewandelt
und hab immer wieder 
dieselben Fehler gemacht
Zu oft habe ich gesagt
Ihr seid mein 
und ich bin euer
Nun habe ich 
nur noch Ohren
für eure Augen
und Augen 
für eure Zungen
schnalzend, zischend
Eure Blicke schweifend
ätzend, urteilend
Wir kommen ja doch nur 
dorthin, wo wir schon ewig sind
Stecken fest in den Sickergruben
unserer verkorksten Moral
in den Rotzgeschäften 
fröhlicher Selbstgefälligkeit
Lutscht Steine der Weisheit
ihr Lappen 
und lasst mich ziehen
Schließlich habe ich 
noch eine Zukunft 
im Gegensatz zu euch



Rückblick

Der Textgestalt lag ich zugrunde
Typoskript im Nachlassen
maschinenschriftlicher Entwurf
im ewigen Glashaus



Die Wut auf das Unvermeidliche

Faschos zerquetschen
im Supermarkt 
traurig Bananen
weil sie aus 
Afrika kommen

Notgeile Salafisten
hassen Frauen weil 
sie gut aussehen

Linksradikale 
wollen wieder Kirchen 
niederbrennen
weil Luther doch
Antisemit war
und die Katholiken
noch vor 50 Jahren
rein gar nichts 
für Flüchtlinge taten

Einsame Männer 
mit gekränkten Egos
verprügeln wahllos 
Intellektuelle
weil ihre Väter 
sie schlugen

Tollwütige Emanzen
nehmen Steroide 
um das zu werden
was sie hassen
Gleichzeitig etablieren
sie Männerhass
als neuen Rassismus

Garstigen Germaninnen
wird es zu viel
mit den ganzen 
Frauenrechten 
Sie wollen wieder 
unterdrückt werden
Aus Trotz und Überforderung
und weil ihre Männer
im Haushalt ja eh nichts machen

Wie soll man das 
nur alles schaffen?

Wie soll man 
diesen Kampf
an allen Fronten 
nur gewinnen?

Am besten gar nicht
sagt der Buddha
und schweigt



Der Kapitalismus siecht

Ein trauriger, alter Säufer 
sitzt auf einer Bank
und führt Selbstgespräche:

Der Sozialismus siegt 
haben sie gesagt
Haben Sie alle gesagt
diese Arschlöcher

Danach starrt er
mich finster an
und nimmt noch 
einen großen Schluck
aus seiner winzigen
Vodkaflasche



Willkommen in der Machine Zone

Wir sind zu Spielern 
von Spielautomaten 
geworden
Seelenlose Reizmaschinen
in emotionalen Sackgassen 
Immer auf der Suche
nach neuer Triebbefriedigung
verharren wir in ständiger 
Unzufriedenheit 
Unsere Hände
streichen zärtlich
nur noch über Displays
Wir sind digitale Junkies
gefesselt an Maschinen
dazu verdammt 
abhängig zu sein
ohne einen Rausch
zu erleben 
ohne das wahre Leben 
zu kennen
ohne echte Gefühle
zu spüren
Wir alle bedienen 
diese Höllenmaschine 
füttern Sie mit 
unserem Fleisch
Tag um Tag
schlagen wir 
die Zeit tot
und haben 
auch noch 
Gefallen daran
Willkommen 
in der Machine Zone



#Instagram

Frauen mit
aufgespritzten Lippen 
und digital 
bearbeiteten Gesichtern
halten ihre Babys 
wie frisch gefangene
Karpfen in die Kamera

Gestählte Männer
in viel zu engen 
Designerklamotten
beweisen sich 
ihre Männlichkeit
Danach ölen sie 
sich gegenseitig ein

Charakterlose Jugendliche 
machen einen Backflip
nach dem anderen
Dabei durchleben sie
jede peinliche Phase
der Pubertät 
live im Internet
Sie erreichen 
den Gipfel der Peinlichkeit
durch ihre noch viel
peinlicheren Tänze

Blutlose Konzerne
erzählen dir so viele 
Erfolgsgeschichten
dass du dich 
schämst zu den
Geringverdiener
zu gehören
 
Selbsternannte 
Lifecoaches
verkaufen dir 
billige Sinnsprüche 
die sie in ihren
Glückskeksen
gefunden haben
als tiefgründige
Weisheiten 
die dein Leben
verändern sollen

Hätte man
den Menschen 
in den 90ern
erzählt 
dass es in
der Zukunft 
Kanäle gibt
die ausschließlich 
Werbung zeigen 
Sie hätten es
nicht geglaubt



Freizeitpassivität

Ich brauche
Freizeitpassivität
überfordert schon 
mit der Reizaufnahme
mit der Auswahl
an Unterhaltungsangeboten

Ich brauche
Passivität
Frustriert von
den hirnverbrannten
Aktionen
anderer Menschen 
und ihrem 
zweifelhaften Aktivismus

Ich brauche
Passivität
denn Arbeit und Freizeit 
muss ich erst verdauen
Bin getrieben und aufgerieben
von unsichtbaren Kräften
vom Datenstrom 
der durch mich fließt 



Im Wochenbett

Einnehmende Müdigkeit
gletschert uns in
wolkige Deckengebirge
Im Traume 
blutige Eihäute
Neubesetzung 
der Organe
Dunkelwaldiger
Schmierfluss
entkapselten Lebens
Geöffneten Auges 
dann überall
sonnenlichtfunkelnde
Spiegelpaläste
wieder und wieder
die Farben der Zukunft 
überlebensgroß
wiedergebend 
Ein Knoten im Gewebe
mäandert uns 
zu uferlosen Stränden
Im Ohre schlagen
tausendstimmig
Herzgewitter



Atemstillstand

An diesen schrecklichen Sonnentagen
Muss man die Melancholie
Erst schmerzlich suchen

Die Schönheit
Unerträglich
Die Menschen
Unerträglich 
freundlich
Gut gelaunt
Ein Graus
Ein Grauen

Wo will man
da noch Muse
oder Anstoß finden
Inspirationskiller überall



Sensation

Er hat doch nicht?!
– doch er hat!



Es ist anders

Manche schlafen
mit der Waffe 
unter dem Kopfkissen 
andere mit der
Fliegenklatsche
unter dem Bett

Es ist anders

Während unsere
Eltern noch sangen:
Keine Macht
für niemand 
Sangen wir:
Keine Lust
auf gar nichts

Es ist anders

Manche lesen
in ihrem 
Morgenschiss
wie andere 
im Kaffeesatz

Es ist anders
Einfach anders



Das stete Treiben

Die Sonnentänze waren vergebens
waren vergebens im Rhein versunken 
verloren im Geiste irdischen Geschicks
waren verloren in den Taschen 
der Oligarchen, Fürsten, Vagabunden
Was ihnen gehörte
hatten sie sich genommen
genommen von anderen Menschen
gestohlen aus ihren erstarrten Händen
gerissen aus ihrem krampfhaften Griff
der Klammer die nicht loslassen wollte

Hatte er auch einen Sommernachtstraum?
Hatte er je geliebt?
Hatte Macbeth je aufrichtig geliebt?
Hat seine Frau geliebt?
Haben sie geliebt gemeinsam?
Geträumt gemeinsam?
bevor sie den Verstand verloren
und alles Traum war

Auch das ein Zeichen 
gemeinsamer Liebe
gemeinsamer Wonne
gemeinsam dem Wahn zu verfallen
gemeinsam im Leid zu versinken
gemeinsam zu träumen
von Herrschaft und Macht
gemeinsam unterzugehen
doch sterben einzeln
jeder für sich
sterben für sich allein
Aus der Welt scheiden
nachdem man die Welt 
geschieden hat
Ohne Nachkommen 
den Lebensfaden zerschnitten
Alles eingerissen hinter sich
auch die Generationen

Was war das ein Zufall
dass wir überlebten
bis zu diesem Punkt!
So viele Wege überlebt
So viele Kriege überlebt
Jeder Einzelne von uns
hat sie überlebt 
die Kriege die die Vorfahren stritten
durch die Generationen hinweg
überlebt so viele von uns
doch alle gestorben irgendwann

Die Eltern zwei an der Zahl 
die Großeltern vier
die Urgroßeltern acht
sechzehn, zweiunddreißig, vierundsechzig 
In wenigen Generationen 
in die Vergangenheit geschaut

In die Vergangenheit geschaut
wird ihre Anzahl mächtig
Zehntausende unserer Ahnen
die zeitgleich wandelten 
über die verheerte Erde
die es forttrieb
die einander flüchteten
die einander mieden
die flüchteten vor Gewalt

Vor der Gewalt
die sie einander antaten
ohne zu wissen 
dass sie in der Zukunft 
miteinander vereint sein würden
im Menschen vereint sein würden  
und von der Gewalt ließen
in der Hoffnung
dass die Liebe 
sie eines Besseren belehrte

Eines Besseren belehrte 
und sie innehalten ließ
verdichtet in einem Punkt
in einem Menschen
in dem das stete Treiben 
immer würde einen Neuanfang finden
einen Neuanfang in der Geburt
in der Kette der Ahnen
Wunder und Wunde zugleich
jeder für sich
in der Reihe des wilden Treibens
in der Reihe der Ahnungslosen
die immer am Ende stehen 
am Ende einer Reihe
aus verketteten Zufällen
an den Enden eines Baumes
die selbst ein Baum sind
dort in den Enden
dort in den Höhen
in den sich kreuzenden
Ketten und Verkettungen
den sich lösenden 
Fesseln und Bändern
einen Anfang nehmen
in einem Leben 
in einer Geburt
in einem Punkt
im Anfang



Des Nachts

Der Schlaf 
bedrohte sie
Jede Nacht
war eine Zumutung
Fremde Männer
standen am Bettrand
sagten kein Wort
taten nichts
warteten bloß
Offenen Auges
fürchtete sie ihre 
abschätzigen Blicke
Übernächtigt 
gähnte ihr
die Stadt entgegen
forderte von ihr
was sie nicht konnte
und gab ihr
was sie nicht wollte



Gefängnisse

Wir haben uns selbst 
Gefängnisse gebaut 
in unseren Köpfen 
Gebaut aus den Trümmern 
vergangener Generationen 
verschlossen mit
eisernen Toren
des Immergleichens



Frühling 2021

In einer dieser stillen Nächte
sah ich unter Apfelblüten
gebrauchte FFP-2-Masken liegen
Erst Monate später 
würden sie 
von den Hochwassern
weggespült werden



Aerosolwolken über Berlin

Aerosolwolken über Berlin
Die Shoppingfreunde
und Sauftouristen 
rafft es zuerst dahin
Lustig liegen sie im Grabe,
schrieb schon Heine über
die feierfreudigen Pariser 
zur Zeit der Cholera 
Das Herz ist und bleibt 
lauter als der Verstand 
Unseren niederen Trieben
sind wir untertan
Unseren Gedanken aber 
zu nichts verpflichtet
Die toben in aller
Widersprüchlichkeit weiter



Hamsterkäfig

Staub denkt darüber nach
Denkt darüber nach Staub zu sein
Denkt darüber nach Staub zu sein
Denkt darüber nach Staub zu werden 
Hamsterkäfig
Hamsterkäufe
Tägliches Experiment 
In unseren Echokammern
Aufgezwungener Idiotie 
Wie lange halten wir durch
Bevor wir durchdrehen




Beklemmung

das Fieber drückt auf meine Ohren
stülpt meine Hülle nach innen
verdichtet sie zu einer Leere
ich trinke einen Tee nach dem anderen
esse Tabletten wie Bonbons
hoffe, dass sich die Worte in mir verflüssigen
aber ich huste Sätze wie Glassplitter hervor



Es genügt

Es ist meine alte Heimatstadt 
und ich bin wieder in sie zurückgekehrt.
Erinnerungen überfallen mich.
Werfen mich in diese Zeit zurück. 
In diese Irrgänge.
In diese Hemmungen.
In diese Enge. 
Es ist meine alte Heimatstadt 
und ich hätte nicht herkommen sollen.
Und entschied mich doch ganz bewusst dafür.
Auch von gefällten Stämmen 
können reife Äpfel fallen.  
Auf frisch gemähtes Gras.
Auf verbrannte Erde. 
Auf fruchtbare Äcker. 
Es ist meine alte Heimatstadt 
und ich bin jedes mal fasziniert 
von dieser Stille, diesem Stillstand.
Ein Blick in das Aquarium.
Trüb und doch erhellend. 
Eine Petrischale. 
Da bin ich.
Da war ich.
Und das genügt.
Vollkommen.



Männer in den Fenstern

Es stehen Männer
in den Fenstern
dunkler Gebäude
ohne Türen

Sie starren reglos
zu uns hinab

Unablässig
versuchen sie sich
in unsere Gehirne 
zu graben

Ich kann 
sie nicht sehen
Ich kann 
sie nicht hören
aber es sind viele 



Eure Heiligkeit

Ein Wunder
sagen sie
wenn sie 
das Neugeborene
sehen 
und vergessen 
dass sie selbst mal 
ein Neugeborenes 
waren



In Milchgewittern
Eine Persiflage

In nachtschwärmerischer 
Einheit gesellt sich 
der schmatzende
ächzende Säugling
in den Klammergriff 
der ausgezehrten Mutter
Urbrüstig ergibt 
sie sich den
unbeholfenen
Suchtbewegungen
des gierigen Wurms
Der zischt und blubbert
in höchster Wonne
scheint der Ekstase nah

Der Mann – 
abseits
ein einziges 
Taubheitsgefühl
Er hüllt sich
in passive Freude
nutzlos
pectusneidisch 
Seine hohle 
Muskelkraft
lässt ihn zum
willenlosen 
Laufburschen
verkümmern
Zähneknirschend
schmiedet er 
in der Dunkelheit
toxische Rachepläne:

Im dunstigen Morgengrauen
hisst er am Fahnenmast
der gekränkten
Männlichkeit
die blutige Flagge
des Patriarchats 



Immer diese Heiligen

Ich will eure 
Blumenrabatten
niedertreten
eure Stiefmütterchen 
und Geranien
herausreißen und 
an ihrer statt
Wildblumen säen

Ich will eure
süß duftenden
Vorgärten 
niederbrennen 
euren Gartenzwergen
die Schädel einschlagen
und sie durch
bedeutungsschwangere
griechische Statuen 
ersetzen 

Ich will alle 
Zäune und Grenzen
niederreißen
und will stattdessen
Obstbäume pflanzen
Für euch alle

Und all das
will ich 
aus Liebe tun
aus Liebe zu euch
und zur Natur



Wut

Er war früher schon immer 
so wütend gewesen
Hat auf Schrankwände
eingedroschen
So ein lieber Junge
haben sie immer gesagt
Er ist so still
So artig und nett
Und so niedlich
wenn er wütend ist
Am liebsten hätte er sich
seine Haut abgezogen
und wäre in eine 
andere geschlüpft
nur um ihnen 
das Gegenteil 
zu beweisen



Vater

Ein Leben lang 
verfolgst du mich
in meinen Träumen 
Zwölf gemeinsame Jahre
die wir miteinander teilen
und doch
kannte ich dich kaum 
und doch
verfolgst du mich
in meinen Träumen 
Ich wünschte
ich könnte sagen
Lass mich
einfach in Ruhe



Die unbeschwerte Zeit

Ihr redet von der unbeschwerten Zeit
von der unbeschwerten Zeit
die wir miteinander hatten
Ich kann mich nicht daran erinnern
an diese unbeschwerte Zeit
Ich hatte immer etwas
das mich beschwerte
Hab mich auch selbst immer beschwert
und ihr habt euch über mich beschwert 
Das war okay
völlig okay
wenn man es zulässt
dass es diese Schwere gibt
die da auf einen drückt
Die brennende Augen im Sommer
Der entzündete Rachen
Das Jucken unter der Kopfhaut
Die Trübsal
Das Kauen 
Das Nagen 
Der Schmerz 
Der bittere Geschmack 
von goldenen Löffeln
Ich hab sie nie gehabt
diese unbeschwerte Zeit 
Eine Zeit ohne Schwere
Was soll das sein?



Korridore des Todes

Wütende Möchtegern-Alphas
in überteuerten blechernen Särgen
verwandeln überfüllte Autobahnen 
in brausende Korridore des Todes



Flöth

Flöth ist im Bauch eines Schiffes groß geworden
Meer und Himmel sah er zum ersten Mal
da war er vielleicht siebzehn Jahre alt

Bis dahin hatte er seine kleine
schäbige Unterkunft 
kein einziges Mal verlassen

Unter Deck musste er immer 
die Drecksarbeit machen

Dafür hatte man ihn bestimmt
So hatte man ihn erzogen

Deshalb konnte er von sich selbst 
auch nur Schlechtes denken

Allerdings muss man mit Flöth 
trotzdem kein Mitleid haben

Sobald er alt genug war
um das alles zu durchschauen
verließ er die schäbige Kajüte
und wurde ein richtiges Arschloch



Steine

Steine
gebrochen 
in fremden Ländern 
dienen nun
als Fundamente
der ersten Welt



Wellenbrecher

Die Wellen 
schlagen 
immer wieder
auf uns ein

Wir müssen 
mit den Köpfen 
voran sie
durchbrechen
damit uns die
Wassermassen
nicht den Boden 
unter den Füßen
wegziehen

Irgendwann 
werden sie 
vielleicht
zu groß sein
und die Köpfe
halten dem Druck 
nicht mehr stand



Loch des Ruhms

Ich habe Stühle getragen
In den Keller hinunter
Dort habe ich sie gestapelt
Eingelagert für das nächste Mal
Es hat mir gefehlt
Das Stühle-Tragen
Und das Wissen-Wofür



Der große Durchbruch

Eine junge Frau
vollgepumpt mit Amphetamin 
peitscht sich mit einer Art 
Hundeleine
auf die Oberschenkel
Danach springt sie
mit ausgestrecktem Bein
durch die Schaufensterscheibe
unserer Galerie
Ihre Dämonen 
hatten ihr den Weg
versperrt
Deshalb schreit sie
für uns unsichtbare
Personen an 
Es gibt keinen Ausweg
Ihre Wut muss irgendwohin
Durch die vierte Wand
denkt sie und schreit
Die Polizisten können ihr 
bis in die Wohnung folgen
Sie müssen nur 
der Blutspur folgen
Eine dreiviertel Stunde
brauchen die Beamten
um die hysterische Frau
aus ihre Höhle
zu bekommen 
Blutverschmiert kommt 
einer der Beamten zu mir
um mich als Zeugen 
zu vernehmen
Durch die Tür 
braucht er nicht mehr
zu gehen
Ich hatte die Frau
schon zwei Tage früher 
auf der Straße gesehen
erzähle ich
Sie stolperte wütend
durch die Gassen
einen Umzugskarton
vor sich hertragend
Dabei schrie sie
unablässig
unverständliches 
Kauderwelsch
und warf 
mit Tassen um sich 
die sie aus ihrer Kiste nahm
Sie trat Fahrräder um
und die Aufsteller
vor Geschäften
Später stellte sich heraus
sie war Künstlerin



Vatersein

Vater sein
Vater sein
Lasst mich 
kurz eine Paus…
Oh shit!



Ich war Peter und der Wolf

Eines Tages öffnete ich
das Gartentor und trat hinaus
auf die große grüne Wiese 
Ich sah einen Vogel
der voller Fröhlichkeit
im Baume saß 
Ich war glücklich 
und sah eine Katze
die den Vogel fressen wollte 
Das machte mich noch glücklicher 
Endlich passierte mal was
Dann kam ihm die Ente zu Hilfe
und wurde dafür vom Wolf gefressen
Recht so, dachte ich
und machte eine Schlinge
um den Wolf zu fangen
Töten wollten wir ihn nicht
Dafür sperrten wir ihn ein
und erfreuten uns 
an seiner Schrecklichkeit



Ein Rinnsal im kühlen Tale

Ich bin 
ein versiegender Strom
Lichtlos
Ein Rinnsal im kühlen Tale
Unmerklich wachsend 
im Morgentau
Die wärmende Sonne
tröstendes Labsal
wasserglucksend
Die Ahnung 
von brandender See



Denk ich an Zeitz

Rausch und Rüben
im täglichen
süßen Industriegestank
der durch die 
U-Stadt zieht

Mich würgt es
wenn der Wind
richtig steht
jeden Morgen 
aufs Neue

Die Straßen 
leer und tot 
Die Häuser 
verlassen
Die Menschen 
verbittert 

Auch in mir 
kocht eine Wut
auf das Leben
auf mich selbst 
auf alle anderen

Was bleibt 
einem schon
in dieser 
dreckigen
alten Stadt
voller Ruinen

Drogendealer
sind Heilsbringer
Schamanen
die uns 
wärmendes Soma
zu trinken geben
damit wir 
das alles hier 
noch länger 
ertragen können

Einen weiteren Tag
und noch einen
Bis zu dem Moment
an dem wir 
endlich wieder 
etwas spüren 



Zeitz

Die Einheimischen laufen gebeugt
Ein Rentnerpaar schleppt sich
durch die Gassen 
In Zeitlupe klappern sie
mit ihren Stöcken
über das dröge Pflaster 
Ansonsten ist es still
Niemand spricht miteinander 
Bis auf die Ausländer 
die mit ihren exotisch
klingenden Stimmen 
wieder Temperament 
in die Stadt bringen 
Und Träume



Gespräch zweier Verkäuferinnen

Silvana hatʼs gut.
- Aha, warum?
Die schwimmt mit Delphinen.
- Mmh ... ja und? 
Sieht bestimmt gut aus.
- Mmh.



Letzte Runde

Der trübe Geist tropft dir aus der Kehle
Die Hände sind dir nur noch trocken Brot
Die Augen dir zu später Abendstunde
erloschen wie dein Leben, tot

Ich höre dich, dein leeres Rauschen
verkümmert in sich selbst zerfallen
Seh einsam dich am Tresen sitzen
hohle Phrasen dreschend, lallen

Dein Leben hast du ausgesoffen
Ertränkt dich selbst mit vollem Munde
feuchten Auges hast du ausgespien
auf den Boden noch in letzter Runde



Parallelwelten

Die fauligen Sterne in den Büschen
vermuten im Offensichtlichen 
das Unwahrscheinlichste

In jeder Halbglatze eine Kippa
Im Blümchenkaffee einen Chai

Sie suchen nach Bestätigung 
ihrer eigenen Lügen
Sie ziehen ihre Ammenmärchen
der Wissenschaft vor
weil sie mit ihr 
nichts anfangen können

Sie flüchten sich in Parallelwelten
weil sie die Realität schon längst 
nicht mehr verstehen

Sie sind die fauligen Früchte 
am Baum der Erkenntnis 
zurückgelassen auf den Friedhöfen 
einer fehlgeleiteten Erziehung

In kindlicher Unmündigkeit
und Wahnsinn gefangen
schmieden sie Schwerter des Hasses
für den immerwährenden Krieg 
mit sich selbst

Den können sie aber nicht gewinnen
Den haben sie schon verloren
Wir haben es ihnen bereits gesagt
Genützt hat es nichts 



Das Leben ein Friedhof

Die Welt ist 
ein einziger Friedhof 
den wir mit letzter Kraft 
beackern müssen 
damit er halbwegs
ansehnlich bleibt



Der Friedhof ein Leben

Sie haben uns eingesperrt 
Meine Tochter und mich
Auf einem Friedhof
Allein konnten wir uns nicht retten
Ein Unbekannter musste uns helfen 
den Zaun einzureißen



Adolf Krishna

Hin und wieder
tauchte er 
auf unseren Partys auf
Zusammen mit seinem 
sechsjährigen Sohn 
der barfuß durch
die Glasscherben
auf dem klebrigen 
Boden stampfte
Niemand wusste
wer er war
Es hieß 
er wohne 
auf dem Wagenplatz
und bleibe
sicher nicht lange 
Doch er blieb
jedes Mal
Zusammen mit 
seinem Sohn
Man machte
sich automatisch 
mitschuldig
wenn das Kind da
bei voll aufgedrehter
Punkmusik 
durch die dichten 
Haschwolken eierte
und ganz offensichtlich 
keine Ahnung hatte
was es hier verloren hatte 
Völlige Verwirrung aber
trat unsererseits 
erst dann ein 
als er sein Kind 
beim Namen nannte:
Adolf Krischna!
Wir gehen jetzt!
Wir lachten
weil wir zunächst 
glaubten es sei ein Scherz
Wenn das sein
echter Name wäre
so glaubten wir
müsse es doch zumindest 
ein fragwürdiger Witz 
der sadistischen Eltern sein
Wir fragten nach 
doch der Vater 
fand es gar nicht witzig 
Es sei kein Spaß 
sagte er mit finsterer Miene
Es war sein Ernst



Erkenntnis

Ich war mir sicher
dass dort jemand war
in der Dunkelheit
der die Hand aufhielt
und ich wie gelähmt
wusste nichts damit 
anzufangen

Ich stand vor
leeren Eichentischen
die lud ich 
voller Speisen
die verfaulten
und ich wusste 
nicht wofür

Die große Müdigkeit
traf mich mit 
ungeheurer Wucht
doch ich überwand mich 
und blieb wach
bis in Erschöpfung
ich dachte:
Das ist das Leben



Ein Sturm zieht auf

Tausend Flüsterstimmen
kriechen über Menschenerde
braunes Laub, vertrocknet Blätter
Regungen im Unterholz
feucht und modrig vom Geruch

Der Wind treibt über altes Land

Das Murmeln der Geschichte
ist ein warnend Schreien
aus weiter Ferne
in der sich Stürme heben
von Umsturz und Vernichtung kündend
doch in hiesigen Gefilden
nur Zeugnisse des Verstummens bleiben

Während sich vereinzelt Böen
gewaltsam ballen
holt der große Sturm
hinter fernen Horizonten
schon zum Schlage aus




Synthetische Verbindungen

Menschen starren

auf schillernde Tempel
handtellergroß
bewusstseinslos
Formalästhetischer Klassenkampf
im Einmachglas
Kybernetische Leichtbauweise
der Gesellschaft
Wir formen Menschen 
zu Bauklötzen
fügen sie in Leerstellen ein
im Glauben 
an den Fortschritt der Menschheit
Alternativlose Handlungen
Zwangsjackenmentalität
und ohne gesellschaftliche Werte 
ohne Perspektiven
Wir beschwören 
eine Tonne Schweinebäuche
reden weder über uns selbst
noch über unsere Geschichte
Was bleibt
sind Gespräche 
über Parasitenkuren
chemische Einläufe
Sportwetten
diskriminierende Witze
ausgebliebene Profite
die Anderen
Stellvertreterkriege der Soziologie
Massenhysterie der Gestörten 
Das Boot ist voll
mit Pillen gegen die Depression
Niemand nimmt sie ein
Niemand lässt sie raus
Überirdisch ist nur noch
das Datenvolumen
Doch keiner staunt mehr darüber
Man regt sich lieber auf
grenzt sich ab
Die einzige Freude
so scheint es
ist für viele nur der Hass
der Eigennutz
das Wehklagen
Hört endlich auf damit
wenn ihr wirklich leben wollt



Frosch

Frosch lugte aus der Straßenbahn
und blickte stumm auf die verkehrte Welt 

Sie sagten
nach der Verwandlung
sei er nicht wiederzuerkennen

Als er hinaustrat
spürte er einen kalten Zug und
richtete den Kragen seines Mantels auf

Die Zigarette wollte ihm seitdem
einfach nicht mehr ausgehen




Nach der Wende

Er wollte unbedingt alles sehen
im Westen

Die Autos, die Filme und Platten
das volle Programm

Er fuhr von Stadt zu Stadt
und besuchte die Orte
die er schon sein ganzes Leben
nur aus dem Fernsehen kannte

In Tübingen dann
sah er den Marktplatz
das Schloss
den Botanischen Garten

anschließend war er dann
im Turm von Hölderlin

Aber da war niemand
außer er selbst



Formlos

Nachts sieht man ihn
keine Schatten mehr spenden
nur seinen traurigen Übergang
in die tiefsten Dunkel aus Nichts

Er ist formlos überzeichnet
und hinterlässt keine Eindrücke mehr
sondern nur noch Abdrücke
in den farblosen Gründen des Seins

Nur quellend Masse ist er
und dumpfer Schall
der in die Dunkelheit strahlt



Auf dem Wertstoffhof

Ich habe ihn gesucht
den Müllhaufen der Geschichte
und einfach nicht gefunden



Menschen

Nur fünfhundert
Generationen

zwischen Faustkeil
und Smartphone
Das sollten wir uns
immer wieder 
vor Augen führen
wenn wir über
gegenwärtige Zustände 
nachdenken wollen



Gerechtigkeit

Hoffe nicht

auf Gerechtigkeit
Die ist nämlich
nur dort
wo sie 
findige Leute
hingetragen haben



Zweifel

Also wenn du dich 

dabei erwischst 
wie du in der 
Badewanne
literweise
Sprengstoff anrührst
dann könntest 
du schon einmal 
darüber nachdenken
ob du deine Ansichten
vielleicht nicht
doch noch einmal 
überdenken solltest



Versagen ob unvorhergesehener Umstände

Der Nebel betritt außerplanmäßig die Bühne

und setzt sich über die Schauspieler hinweg
Ihre Umrisse werden unscharf 
Die Figuren verschwinden 
unter der kriechenden Masse
Der Pöbel wird sogleich unruhig
Hamlet vergisst plötzlich 
seine lebensverneinenden Monologe
und verfällt in seiner Rage
in oberflächliche Gemeinplätze
Seine plumpen Versuche
das Publikum durch Menschlichkeit
erziehen zu wollen
wirkt aufgesetzt und lächerlich
Einfach niemand kauf ihm das ab
Er wirkt wie eine Persiflage 
auf den gescheiterten Humanismus 
Eine ganz und gar
erbärmliche Vorstellung
urteilen die Kritiker später
Unbeholfen sucht er Orientierung
auf der vernebelten Bühne
doch keine Regieanweisung 
kann ihm noch helfen
Das Publikum buht ihn aus
Stirb endlich, Hamlet! 
rufen sie im Aufstehen
Stirb endlich!
schreien sie und gehen


Aliens


Ufo-Sichtungen über Ost-Sachsen

Hysteriker sehen plötzlich überall Ausländer
Vorsorglich holen sie schon mal 
die Nazi-Devotionalien
und alten Kriegswaffen 
aus dem Keller
Die neu erschlossenen Freiräume 
füllen sie mit Konservendosen
und billigem Büchsenbier
Sie schmieden Pläne
für die anstehende Invasion
die aus ihrer Sicht
unmittelbar bevorsteht
Auch wenn sich für sie
rein gar nichts verändert
ist das für sie doch nur
ein weiterer Beweis
für den großen Austausch
Nach Jahren 
des ausstehenden Weltuntergangs 
endet der verzweifelte Versuch
ihrem langweiligem Lebensalltag 
fantasievoll zu entfliehen
in einem traurigen Hilfeschrei
Doch bis auf ihre Therapeuten
hört ihnen niemand zu



Sonntag

Im Radio

die Sonntagspredigt
Die Christen
schöpfen wieder
Hoffnung
Das Ende 
ist nah



Die Hände

Meine Hände

Sie wissen zu viel
Ich wasche sie
so gründlich
dass von der Welt 
die an allen 
Oberflächen haftet
nicht mehr
übrig bleibt
als ein Gefühl



Drinnen

Drinnen ist draußen
und draußen nur still

Hin und wieder
hört man ein Auto 

Hört wie es durch die
leeren Straßen schreit
und wieder verstummt

Die Wohnung bewegt sich
unverzagt durch den Äther

Wir treiben durch die Stille
des Weltraums

Umgeben von
endlosem Nichts
Umgeben von
endlosem Schweigen



Streit

Wir haben es verlernt zu streiten

und sind zu affektgesteuerten Wesen verkommen
Empathielos und gegen die menschliche Logik
reiben wir uns an Zufälligkeiten auf
Wir sehen nur noch
was wir nicht sehen wollen
und sind uns stets
einen Vorwurf voraus
Es geht nicht mehr darum Recht zu haben
sondern darum dem anderen nachhaltig zu schaden
Auch wenn das den eigenen Untergang bedeutet



That’s life

Ich bin einfach nur müde
vom Leben
Selbst wenn man sich
mal kurz aufs Ohr haut
tut es einfach nur weh



In der PR-Abteilung

Er hat Gesichter gewaschen
wie andere Leute ihr Geld
So kam er durchs Leben
und wurde gut entlohnt 




Leistungsgesellschaft

Die Deadline rückt immer näher
mit jeder Sekunde kommst du
der Todeszone einen Schritt näher


Seit Wochen nicht richtig geschlafen
nur vier, fünf Stunden jede Nacht
und immer nur von Arbeit geträumt


Mit den Zähnen geknirscht
auf Leisten gekaut
wie die Druffis morgens um sechs


Zunächst nur nachts
später auch tagsüber
gekaut und gepresst
den Kiefer verkrampft
und jeden Morgen
mit Zahnschmerzen erwacht
und hektisch in den Strom
gehetzter Menschen gesprungen


Jeder Blick in den Spiegel
erinnert dich daran zu entspannen
erinnert dich an die Deadline
die immer näherrückt


Stechender Schmerz
zieht dir durch die Zahnwurzeln
bei jedem Kaltgetränk
zieht dir der Schmerz 

durch den verkrampften Kiefer
in den Schädel
der pulsiert und klopft


Trinken
immer viel trinken
gegen den Kopfschmerz
für die Durchblutung


Schreibtischarbeit ist Extremsport
immer schön rumlaufen
aufstehen
ein paar Schritte gehen
gegen die Herzrhythmusstörungen
und immer in Bewegung bleiben


Den Burnout wegarbeiten
tief einatmen
denn jeder Kopfschmerz
könnte der erste Schlaganfall sein


Versuch dich zu entspannen!

Doch bei jedem Telefonklingeln
zuckst du zusammen
dein ganzer Körper verkrampft
und die drei angefangenen Emails
müssen schon wieder liegenbleiben


Vier Anfragen die Minuten
Wie willst du dir das alles merken?
Die To-Do-List des letzten Monats
ist dein erster Roman geworden


Wie all die anderen
landet auch er im Papierkorb

Alles muss raus!
Alles muss weg!
Reinen Tisch machen!
Alles abarbeiten!


Die Deadline rückt immer näher
und du hast keine Ahnung
was das alles soll
und wofür
und überhaupt


Doch morgen geht’s weiter



Auseinander

Wir sind so weit voneinander entfernt
und leben in völlig verschiedenen Welten
gehüllt in glänzende Nebel aus Nichts
und suchen den gemeinsamen Nenner

Doch Verständnis füreinander bleibt Utopie
weil wir die Befindlichkeiten der anderen
nicht kennen, nicht wissen wollen
und einzig nur in eigenen Scheinwelten leben

Dort drüben in Decken gehüllt
hören wir ihre Schreie
und wissen nichts mit ihnen anzufangen
als sie unerträglich zu finden



Manchmal blicke ich in den Spiegel

Manchmal
da blicke ich in den Spiegel
Meist morgens oder abends
der Schlaf ist nicht fern
Da erkenne ich mich
selbst nicht wieder
Die Zeit ist nicht
spurlos an mir
vorübergegangen
Sie hat mich verändert
Ich bin ganz anders
als noch am Tag zuvor
Ich sehe auch
ganz anders aus
Und ich wundere 
mich darüber
wie es mir sonst
immer so mühelos
gelungen ist
mich selbst im Spiegel
wiederzuerkennen
Wäre mir etwa 
mein jetziges Ich
vor zwanzig Jahren 
auf der Straße
begegnet
Ich wäre achtlos 
an ihm vorübergegangen
Ich hätte 
mich nicht erkannt
Ein Fremder 
wäre ich mir gewesen
Umso erstaunlicher
dass man sich 
jeden Tag 
aufs Neue
einbildet
man wäre
mit sich selbst 
identisch
obwohl man doch schon
so viele verschiedene
Rollen angenommen hat
Und jede einzelne 
hat man sich 
selbst abgenommen
Irgendwie



Wasser

Wenn wir die 
Evolutionsgeschichte 
des Planeten
im Zeitraffer 
ansehen würden
dann schiene es so
als ob das erste Wasser 
das sich nach dem ersten Regen
mit Mineralien vermischt
vielfältige Formen annimmt
sich erst in Pflanzen verwandelt
und irgendwann ans Ufer kriecht 
und zum Menschen wird 
Es schiene dann 
als wäre das Wasser 
die eigentliche dominierende 
Lebensform auf Erden 



Wüstenland

Auf dem Weg durch nächtliche Kneipen

sah ich eine Gruppe gesichtsloser Männer
Gläser voll Staub trinken
Stumm waren sie und abgekämpft
Unter diesigen Schleiern verhüllt 
waren ihre Köpfe
die qualmten und stiebten
wie ihre trockenen Kehlen
Das nächtliche Ritual
hatten sie bereits
in die traurige Tristesse
ihres Alltags verwoben
So dürstete sie jeden Morgen
erneut nach einem
Glas verlorener Zeit



Masken

Ich durchschritt traurige Landschaften menschlicher Gesichter

in einer Stadt nicht enden wollender Déjà-Vus
In verwinkelten Gassen öffneten sich verfallene Türen
und bargen wartende Gestalten
die dahinter einstudierte Texte vortrugen
Manche warteten schon seit vielen Jahren
in hoffnungsloser Erwartung
Kaum einer hatte sich in der Isolation
eine eigene Persönlichkeit bewahrt
Die brauchten sie auch nicht mehr
Vielen reichte es ihre Rolle zu spielen
wenn willige Geister sie besuchten



Im Wald der brennenden Bäume

Im Wald der brennenden Bäume
liegen unter Asche begraben
die verlorenen Träume
jener Menschen, die sagen
ihr Leben sei gar nicht schlecht. 

Doch wir, du und ich,
wir wissen es besser,
sehen in den Spiegel
doch sehen uns nicht.

Sehen Gesichter und Fratzen,
zur Unkenntlichkeit verzerrt,
sich die Augen auskratzen
und ihr Blut, das sie nährt
in kleinen Schüsseln vor sich tragen.

Doch wohin irren wir so blind?
So naiv, so unbeholfen wie ein Kind
kraucht jeder tastend mit der Schüssel in der Hand,
sein eigen Blut verschüttend auf Boden und Gewand
bis wir nun endlich warme Erde spüren.

Und im Walde ruht das Laub so trocken
und von ferne tönen Totenglocken
als der entscheidend Funk entspringt,
damit der Dummheit größter Wurf gelingt.

Von Feuersbrunst wird der Wald verschlungen
und traurig schreit er in sich hinein,
und kein Laut ist je aus ihm gedrungen,
denn das Unsagbare ist sein Fluch, ist seine Pein,
die ihm doch nie abhanden kam.

So geschieht es immer wieder,
jedes Jahr und alle Zeit,
doch bald vergessen ist das alte Leid,
denn neues Blattwerk drückt die Asche nieder
und der nächste Brand ist nicht mehr weit.



Kaffeefahrt

Eine Horde Rentner 
zieht in die Landeshauptstadt ein
In Reisebussen kommen sie 
die Stadt zu erkunden
Vielleicht finden sie in den 
ausgetrockneten Straßenzügen
aber auch noch ein paar Kanaken
die sie aufklatschen können
Eine fröhliche Kaffeefahrt 
mit einem Hauch von Patriotismus – 
Ostromantik in Elbflorenz
Am Abend wird gemeinsam gegrillt:
deutsches Bier und deutsche Würste
in einer Dunstwolke
aus saurem Schweiß und Pisse
Dazwischen Vogelgezwitscher 
und Husten von den 
Balkonen der Plattenbauwohnungen
„Unterhemden und Sandaletten
für alle!“, ruft einer der Rentner
Uniformen sind gern gesehen
Deshalb greift jeder beherzt zu
Die Gruppe steht kurz vor einer 
Massenhysterie
„Die Socken sollst du anbehalten,
du Mistschwein!“
dringt es aus der Menge
Der Betroffene schämt sich so sehr
dass er sich vor Schreck auf die Füße kotzt
Eine Pflegerin wischt ihm gewissenhaft
das Erbrochene vom Mundwinkel
„Wir wollen doch unseren Stolz bewahren“
flüstert sie ihm zu
Er antwortet müde und abkämpft:
„Deutschland“



Letzte Runde

Der trübe Geist tropft dir aus der Kehle
Die Hände sind dir nur noch trocken Brot
Die Augen dir zu später Abendstunde
erloschen wie dein Leben, tot

Ich höre dich, dein leeres Rauschen
verkümmert in sich selbst zerfallen
Seh einsam dich am Tresen sitzen
hohle Phrasen dreschend, lallen

Dein Leben hast du ausgesoffen
Ertränkt dich selbst mit vollem Munde
feuchten Auges hast du ausgespien
auf den Boden noch in letzter Runde



Zermürbungskrieg

Zermürbungskrieg der Propaganda
paranoiageschwängert
im endlosen Strudel der Redundanz gefangen
Die Konfrontation mit dem Immergleichen
lässt jegliche Emotion
im Staub der Gleichgültigkeit versinken
Die Oberfläche ist zur neuen Tiefe geworden
Gehässigkeit zur neuen Freude
Jeden Tag holen wir uns neue Kicks ab
Unsere Gedanken
stumpf wie die von Junkies
kreisen um ein Nichts
Empörungssüchtig
wird jeder Tag zur Hetzjagd
Einen Rausch erleben
wir davon schon lange nicht mehr
gewohnheitsmüde
fixen wir uns
dem Goldenen Schuss entgegen



Shitstorm

Der Himmel reißt noch einmal auf
in müdglänzend Dämmerung
und am brüllend Horizonte
erhebt sich ein Schwarm
geifernder User
die uns ihre schleimigen, digitalen Schwänze
ins Gesicht peitschen wollen
Jemand zeigte ihnen das World Wide Web
und nun krakeelen und krawallen sie gemeinsam
dass sich ihre Ausflüsse 
über alle Länder und Menschen verteilen
Saurer Regen war gestern
heute regnet es Scheiße, Leute
Shitstorm, Shitstorm
Nichts kann euch davor schützen
Seht nicht nach oben!
Es brennt und stinkt
und seine Winde 
tragen euch in das Land von Oz
Der Zauberer, den ihr dort trefft
sitzt onanierend hinter einem Vorhang
Ein kleiner Zwerg
mit Nickelbrille und Hauptschulabschluss
und er spricht seine Botschaften 
seine kleinen, widerlichen Hasstiraden
bröckchenweise
in ein filigranes Geflecht 
aus kupferfarbenen Röhrchen
Durch ein komplexes und ausgefeiltes System 
werden seine Worte 
zur Unendlichkeit aufgebauscht
und in die Kanalisationen 
dieser Welt umgeleitet
in dieses Venedig der Exkremente
das meistens völlig unbeachtet
unter uns 
sein Eigenleben führt 
Hier zerfetzen sich die Leute ihre Mäuler
über unbedeutende Lapalien
Und mit sagenhafter Dummheit
füttern sie ihre Wut 
die als große, überreife Eiterbeule
am Arsch der Nation 
immer größer und größer wird
zum Aufplatzen bereit
Und dann – 
dann wird es wieder 
Montag in der Stadt



Gott Schalk

Heute regnet es
schon wieder Gummibärchen
in allen Farben
süß und lecker
Manna fürs gemeine Volk
das sich die feisten Finger 
danach leckt - 
Vater Gottschalk tritt auf
und meint:
„Ihr könnt zwar alles essen
aber nicht alles wissen“
Das reicht den Leuten
und sie langen ordentlich zu 



Fremd – Sein

Wer bist du schon
wenn nicht ich?
In deinen Augen
sah ich einst noch 
den Glanz erstrahlen
von Morgendämmer
und jetzt
einen Eimer voll Zikaden bloß
der sich lautstark zirpend
an jener Feldmaus labt
die ereifernd sich noch ihren fetten Bauche rieb
Wo warst du denn
wenn nicht jetzt?
Im leeren Blick über die Schulter
stehst du noch da als alter Mann
Und so ganz nackt
trägst du deine Haut
wie einen alten Fetzen Stoff an dir
der ganz verbraucht
über einen drahtigen Kleiderbügel hängt
Und aus deinen blutigen Augenhöhlen
tritt die glühende Erwartung
jener Träume
die nicht dir gehörten
Wo willst du denn hin
wenn nicht fort?
In deinen Gummistiefeln
die stampfend
durch den nassen Zement
bald stehenbleiben
bald fest verwachsen sind
mit dieser Fremde
die du doch Heimat nennst
Und kein Weg hast du
kein Ziel
keine Erwartung mehr
kein Erkennen im Jetzt
nur ein Veräußern
ein Reflektieren
ein Aus-sich-Heraustreten
weil du es ja gar nicht erträgst
du selbst zu sein
Und war das nicht der Grund dafür
dass du einst 
die erste Uniform getragen
den ersten Stein geworfen hast?
War das nicht dein Gefühl
da drüben 
als du die hundert Schnitzereien
von dir selbst angefertigt hast
nur um sie danach wieder zu verbrennen?
War das nicht dein Gedanke 
im Moment deines letzten Aufschreiens
diesem endlosen „Ich, Ich, Ich“
das du der Welt hinterlassen hast 
um dich ein letztes Mal lebendig zu fühlen
obwohl du doch genau wusstest
dass du deine Rolle
überzeugender spieltest
als dich selbst?



Die Zeit altert

Ich habe mir beim Altern zugesehen
und gespürt, dass es andere auch tun

Ich habe das Leben
wie eine Baustelle wahrgenommen
als unfertige Grube
in der Potentiale zusammenfließen

Ich habe Möglichkeiten
der Imagination
durch Mark und Bein
schießen hören
habe gespürt
wie sie Herz und Hirn durchdrangen
und wie Gedanken zu Pfeilen verdichtet
schneller flogen
als meine Hände schreiben konnten

Ich habe den Atem angehalten
um die Zeit
zu Poesie zu verdichten
und habe dann
der Poesie beim Denken zugesehen

Im Blick nach vorn
schwang sie sich über Metaebenen hinweg
ohne dabei den Boden der Tatsachen zu verlassen

Hauptsache atmen
Hauptsache tönen
ließ sie leere Worthülsen hinter sich
und schwang sich hinab
bis zum Ende der Seite

Dort blieb sie stehen
und ich fand heraus
was ich wirklich dachte

Die Zeit altert an mir
dachte ich



Der Fall ist alles, was die Welt ist

für den Freitod
wähle ich mir 
das höchste Gebäude 
unter der Sonne
als Treppe soll es mir dienen
zu den höchsten Höhen
und als Pforte ins Licht
als Zeichen der Willenskraft
und des Größenwahns
säumt es meinen letzten Gang 
der einzig freien Handlung
ich werde das Schweigen 
sein lassen
und von dem sprechen
wovon niemand reden kann
ich werde mich dem Unbekannten
entgegenstürzen
im stillen Gleitflug
dem lauten Knall
entgegenfiebern
und dorthin zurückkehren
wo ich herkam 
nämlich
auf den Boden der Tatsachen



Im Paradies

Im Paradies angekommen
durchwandere ich in der Gestalt eines Embryos 
glühend weiße Milchpaläste
Ich bin umgeben
von smaragdgrünen Schlinggewächsen
und ein warmer Hauch
bewegt mein Gewand aus edlem Zephir
Ich schwitze Blut
und spitze Steine
Sirupartig fließt die Masse
an meinem Gesicht herab
bildet Tröpfchen 
an meiner Nasenspitze
Ein Gefühl wirft 
tausend Schatten 
auf alles 
was mich umgibt
Es umgibt die Dinge 
mit silbergrauglänzenden Sphären
mit honigfarbenen
oder teerflüssigen Tönen
und durch 
die Ereignisse meines Lebens
zieht sich ein Netz
aus Silberfäden
das zerrissen wird
im Moment des Erwachens



Wir kamen vom trunkenen Meer

Wir taumelten durch die Straßen
wie Schiffbrüchige 
eines trunkenen Meeres.
Immer auf der Suche
neue Bedürfnisse zu stillen.
Empfindungen konnten wir
durch Worte nicht mehr empfangen.
Es waren Taten, in denen wir 
erblühten, aufgingen und verdarben.
Wie wogende Wellen
am nächtlichen Strand 
kamen sie über uns,
ergriffen Besitz und ließen uns los.
Labyrinthe waren unsere Gedanken,
auf deren Böden wir Muster erkannten,
die wir nicht verstanden.
Jeder Moment war gekennzeichnet
von Ausbruch und heilsamer Wiederkehr.
Kieselsteine unter uns verwandelten sich 
zu tausend fremden Gestalten, 
die zu reden anfingen, 
als wir über sie schritten.
Jeder sprach ein eigenes Wort
zu jedem, den sie berührten. 
Unsere Körper waren so müde,
dass sie fast schliefen.
Einzig noch wach gehalten
vom Durst, den wir spürten.
Eruptionen des Geistes glichen
Traumbildern, die in einem Meer
verblasster Erinnerungen untergingen.
Spröde Kausalketten zersprangen,
wenn man sie in Gedanken streifte.
Unmöglich war es 
einen von ihnen zu ergreifen.
So ergaben wir uns 
der freudigen Monotonie,
die uns in sich aufnahm,
Und so – schliefen wir ein.



Oben

Morsch sind die Stufen

die zum Dachboden führen
Brüchig das Holz
das Treppengeländer
Rissig das Gewebe
das Tuch über der Truhe
Lack blättert von den Wänden
von der Haut
auf die Schuhe
Der Raum
nur spärlich beleuchtet
von einer staubigen Glühbirne
Ein Zug fährt zwischen die Bretter
fährt über den Boden
fährt in mich hinein
Kein Grund noch zu suchen
denn dort 
ist es schon
Stumpf beleuchtet
die Imitation eines Wohnzimmers
die Sitzmöbel auf einen Spiegel gerichtet
dazu gibt es eine alte Fernbedienung
Wir setzen uns
schalten durch das Programm
Auf allen 150 Kanälen 
ist dasselbe Bild zu sehen
Wir sehen uns selbst
unentwegt verfaulen
und die Lider werden uns schwer
bis die Augen endlich geschlossen sind
dann hören wir dem Haus
beim Atmen zu
und riechen uns satt
an den modrigen Wänden



Glotze, Röhre, Schlauch

Voll wohliger Genugtuung
sah ich mir Videos
von cholerischen Psychopathen an
die in wilder Raserei 
auf teure Sportwagen droschen
Ich sah Fail-Videos
notorischer Angeber
die sich bei fehlgeschlagenen 
Behauptungsversuchen
versehentlich das Leben nahmen
Menschen
die bei Verkehrsunfällen
aus ihren Autos geschleudert wurden
abgebrannte Verlierer
die bei unüberlegten Verzweiflungstaten
von überengagierten Mitbürgern
zusammengeschlagen wurden
Videos mit Millionen von Klicks
die beständig den Eindruck vermitteln
dass nichts von Bedeutung ist
Das Leben schien mir bald
kalt und fahl
und nur
weil all diese Dinge 
nicht mir widerfuhren
Ich lebte mein Leben
in Hoffnung auf spontane Zerstörung
immer die Hand am Smartphone
um endlich auf das ganze Leid 
ordentlich draufhalten zu können
Wie musste das alles nur auf jene wirken
deren Leben wirklich nur aus Arbeiten 
und Saufen bestand
deren kulturelle Höhepunkte
sie in Fußballspiel und Schlagernacht fanden
und die davon träumten
den anderen Frustrierten
ihre Headset-bekrönten Köpfe einzuschlagen?



Ich lach dich tot

Da kann man doch
mal nen Witz machen
Da kann man 
doch mal lachen
Das darf man 
eben nicht so ernst 
nehmen
Da ist halt 
jemand gestorben
Na und?
Passiert doch jeden Tag
Das muss man
eben als Chance
begreifen
Für nen 
guten Witz 
zum Beispiel
Oder für 
nen schlechten 
Wie auch immer



Blick in die andere Filterblase

Mit ihren viel zu langen Fingernägeln

tippt sie unablässig auf ihrem Smartphone
Dabei wechselt sie immer wieder zwischen
Instagram und WhatsApp
Auf beiden Plattformen
sieht man ausschließlich
Bilder von eingeölten Männern
und halbnackten Frauen
die ein furchtbares Make-up tragen
Dazwischen sind in
unregelmäßigen Abständen
platte Lebensweisheiten
voller Rechtschreibfehler
eingestreut 
sowie
pseudopolitische Memes
mit rechtsradikalem Touch
Sie fummelt die ganze Zeit
in ihrem Haar herum
streicht es glatt
legt es auf ihrer Schulter ab
Wenn sie sich umdreht
hat sie einen Gesichtsausdruck 
als würde sie eine
bittere Flüssigkeit 
im Mund behalten 
Hin und wieder
macht sie ein Selfie
Manchmal zusammen 
mit ihren Fingernägeln
die sie cool ins Bild hält
So verbringt sie
volle sechs Stunden
Ich fühle mich vom Zusehen
schon richtig ausgelaugt 
und denke mir
Irgendwie ist meine Filterblase
doch ganz okay



Nichts

Heute habe ich das Nichts gesehen
Und hab das Nichts durchschritten
Und nichts konnte mir entgegenstehen
Und an Nichts habe ich gelitten

Nichts sagt zu mir die Bäckersfrau
Auch ich hab nichts gesagt
Der Lebensalltag, grau in grau
Hatte zu oft an uns genagt

Ich ging durchs Nichts die Straß’ entlang
Und spürte nichts in mir
Ich hört’ nur nicht’ gen Klagesang
Voller Wut und Hass und Gier

Und überall drängte Nichts, Nichts auf mich ein
Und ich wollte einfach Nichts, niemand und überhaupt nirgendwo mehr sein
Nichts ward meine Passion und nichts wollt’ ich erreichen
Denn Nichts ist die große Vision und niemand kann ihr weichen 



Der Widerstand der Dinge

Die Gefallenen des Alltags

Sie schlottern und lachen 
und grinsen wie gefrässige Hyänen
und ihre Gesichter leuchten hell auf 
im Scheinwerferlicht vorbeifahrender Limosinen
bevor sie von den Lindwürmern der Städte 
bäuchlings verschlungen werden 
und in ihren strahlenden Leibern
durch die silbergrau-glänzenden Städte treiben

Die Gefallenen des Alltags
Sie sind berauscht von den elegantesten Drogen 
die in ihnen flammende Rhythmen erzeugen
und sie in ekstatische Tänze ausbrechen lassen
und sie davor bewahren
unter der Last der Räume und Bilder zusammenzubrechen

„Entschleunigung!
Entschleunigung!“
schreien sie in ihrem Wahn
und reiten von den Worten beflügelt
in das Kolloseum der Weltgeschichte ein
das einem Irrenhause gleich
als Kleiderordnung
den verstörten Insassen
nur noch die Zwangsjacke der Gesellschaft vorschreibt
Hallogenstrahler sind auf die blutige Arena gerichtet
in der man eine Schar abgemagerter Köter sitzen sieht
die ihre traurigen Klagelaute
in die sternenlose Nacht hineinheulen
während sich in den Zuschauerreihen nur unverständige Blicke zeigen

Die Gefallenen des Alltags
Sie krakeelen und kreischen und gröhlen
von den unbeleuchten Tribünen herab
und ihre Sounds vermischen sich
ganz unbewusst
mit den dissonaten Rhythmen auf der Bühne
zu einer gewaltigen Jamsession
die auf ihrem erschütternden Höhepunkt
jeden Lichtstrahl verlöschen lässt

- - - - -

When the music’s over
Turn out the light
Turn out the light



Krone der Schöpfung

Hinabgestiegen die tausend Samenleiter
bin ich in tiefste See geboren
in die nur trübe Lichter fallen
zum Versiegen auserkoren

Entsprossen erdenen Richterhallen

sind alle Glieder abgefroren
in diesem Land der stumpfen Krallen
in dem die Leute still die Fäuste ballen



Inseln aus Stein

Wir leben auf Inseln aus Stein
in wogenden Meeren aus Asche
durchzogen von kupfernen Adern
und lassen kein Leben hinein


Wir leben auf Inseln aus Stein
getragen von Menschen mit Mut
durchdrungen von Hoffnung auf Glück
bewogen zu einem Leben voll Wut


Wir leben auf Inseln aus Stein
geboren aus Leibern von Frauen
geknechtet vom Willen des Herrn
und spüren im Träumen das Grauen


Wir leben auf Inseln aus Stein
jeder für sich und allein
will sich berauschen am Sein
und gemeinsam nur lachen und weinʼ




Unter der Decke 

Meine Gedanken
aufgeschichtet
wie die Steine
einer Pyramide
von Sklaven


In meiner Brust
ein totes Tier
gepflanzt
von einer Gesellschaft
sensationslüstern und
mit Totschlagargumenten
um sich werfend


In meinem Bauch
ein Kobold
wütend und rasend
und Steine
zertrümmernd


versteckt sich 
tief im Inneren
mit einer Decke 
über dem Kopf



Kopernikus

Kopernikus
der Vollender
unseres Planetensystems
betrachtete Töne
wie ein Künstler
die Farben
auf seiner Palette

Das ist einer dieser Sätze
die mir im Traum zufielen
und über die ich endlos
nachdenken kann

Ein weiteres Beispiel

Alle Menschen sind Fleisch
aber manche sind Fleischer

Da wundere ich mich dann
über diesen Funken Genialität
der darin verborgen liegt
Unmöglich solche Sätze
durch reines Nachdenken
zu produzieren

Ich habe es versucht

Gefühlte Ewigkeiten
habe ich wie in Trance
meine Zimmerdecke angestarrt
und den Rauch meiner Zigarette
in der Unendlichkeit des Raumes
verschwinden sehen

Ich habe Brücken betrachtet
und andere Gebäude
von Menschenhand erschaffen
und über die Bedeutung
der Steine meditiert
die das Ganze ausmachen
in der Hoffnung
die Erkenntnis
würde sich
als glühende Lichtgestalt
über mir ausbreiten

Ich habe versucht
im Traum zu leben
weil ich glaubte
die Inspiration
würde unvermutet
über mich hereinbrechen
und meinen Geist
reinwaschen

Doch das Gegenteil war der Fall

Ich verschwendete
wertvolle Lebenszeit
und stumpfte innerlich ab
bis mir eines Tages
wieder so ein Satz
im Traum zuflog
der mir in diesem Moment
schier alles erklärte

Die Zeichen des Verfalls
sind die einzigen Zeitmesser
im Tunnel
endloser Gleichförmigkeit



Verfehlt

Sie sucht beständig Spiegel
ohne in sie in hineinzusehen

Ihre blinden Augen
kratzen helle und dunkle Flecken
an Kettengliedern ziehend
durch die Straßenzüge

Ihre Blicke
tastend
ruhen hinter
verschlossenen Türen
und warten auf
feine Risse im Gewebe

Ihr Atem stockt
bei dem Gedanken
es könnte auch
anders sein




Die Langsamkeit

zu lang
zu lang
alles zu lang
die Minuten
die Stunden
die Tage

nur die Sekunden
haben noch
die rechte Länge

Momente
Augenblicke
vielleicht auch
Atemzüge
sind noch die
einzigen Maßeinheiten
mit denen sich
umgehen lässt

alles andere
rast nur so davon
von einem Termin
zum nächsten

die Gestaltung
der Freiheit
ist auch nur
ein Termin
unter vielen

das Leben zerrinnt
zwischen den
imaginären Fingern

als Größenwahn
erscheint uns bereits
die bloße Vorstellung
Herr über
den eigenen
Terminplaner
zu sein

doch das stete
Abarbeiten
der Termine
zeigt uns
dass wir völlig
abhängig sind

Sklaven sind wir

dem eigenen
Lebensentwurf
ausgesetzt

Sklaven
der eigenen Zukunft

Sklaven
die es verlernt haben
im Hier und Jetzt zu leben
und deshalb nur noch
zum Schein
existieren

ich will wieder
in der Gegenwart
ankommen
doch
wo muss ich hin?



Passivität

Die quietschenden Reifen stehn.
Der Tunnel kommt auf mich zu.
Die Lichter in tausend Gestalten
hören einfach nie nur zu.

Die Lichter in tausend Gestalten
sind Türen aus dieser Welt;
sind Bilder zu meinen Stimmen.
Sie wissen, was mich entstellt.

Die Reifen rollen im Rhythmus.
Der Tunnel kommt nicht zum Stehn.
In Gedanken will ich versinken.
Niemanden kann ich noch sehn.



Ohrwurm

Die Musik
blendet mich
in dunklen Phrasen
So laut
klingt sie
in meinem Kopfe nach
Ich kann weder hören
noch durchdenken
was sie sagen

Die Begleiter
formlos flüsternd
in den Ohren

Diese Würmer
diese ewig gestrigen
werd ich nicht los 



Personal Content

Sklaven der Crowd
beständig darauf bedacht
sich zu teilen

Persönlichkeiten
werden zerschnitten
und der Gesellschaft
zur Verfügung gestellt

Wirtschaftsunternehmen
und Geheimdienste
freuen sich schon
Sie setzen ein Like
hinter jeden Post

Tage werden damit verbracht
Selfies hochzuladen
und inhaltslosen
Content zu produzieren
#ihatemyself
#pushmyego
because I like to see me
bevor ich sterbe
tausend Mal im Netz



Chemnitz

Parolen brüllend bis zur Ekstase
zog der Mob durch Marxens Stadt.
Aufruhr in der Anfangsphase,
ob’s früher auch so angefangen hat?

Hetzjagd hat es nicht gegeben,
sagt unser Ministerpräsident.
Ich hoffe, er muss es nicht erleben,
dass er um sein Leben rennt.

Er hat Glück, die wütend Masse
zürnt heut’ noch nicht gegen ihn.
Ihr Hass richtet sich auf eine Rasse,
doch der Biedermann riecht kein Benzin?!

Viele stellen sich jetzt noch blind,
doch die AfD war vorne mit dabei
und zeigte offen, was sie sind,
gefolgt von Behörden, Staat und Polizei.

Wir können uns dem nicht verschließen.
Verständnis ist schon lang vorbei
für Brandstifter, die Benzin ins Feuer gießen.
Unsere Alternative heißt nicht Tyrannei! 



Oben, unten, links, rechts 

zerfallende Sterne
zerstäubende Triebe
zerspringende Weiher
im Massendefekt

Ekelgerüche
im Morgengefecht
verdrehte Räume
zerstörte Träume
heute mal wieder 
ungerecht



Morgengrauen

Ich sah mich selbst
in Schwangerschaft
Krauchend durch
meine Venen
Ich sah
eine Wüste aus Schnee
und wie der Putz
von der Decke rieselte
Ich sah die Gebeine
verlorener Generationen
und leuchtende Farben
in der Dunkelheit
und Erinnerungen auftauchen
aus vergangenen Zeiten
Ich sah den Morgenstern
meiner Sehnsucht
und Trübsal blasende Wilde
in heruntergekommenen
Sportwagen sitzen
Ich sah ein Bett aus Ewigkeit
in das wir uns legten
und ich sah den Morgen grauen
in unseren Köpfen
als wir uns liebten



Es zieht

Merkt ihr es denn nicht?
Merkt ihr nicht den Zug,
der uns von hinten in den Nacken fährt?
Merkt ihr es denn nicht,
wie er uns am Kragen packt?
Wie er uns langsam den Rücken hinunterkriecht?
Wie uns sein kalter Hauch
bei einer jeden Bewegung begleitet?
Wie er uns fröstelnd erschaudern lässt
in Momenten der Stille
und er uns peitscht, peitscht, peitscht,
wenn wir murrend stehenbleiben,
solange,
bis wir freiwillig mit auf ihn aufspringen
und er uns fährt
in die kalten Landschaften
aus denen er hergekommen.



Das Gesetz der Entropie

Flugzeuge über Sarajevo
die den Himmel zerfetzen
wie ihre Bomben
die Ideen von Menschen –
jeder trägt eine andere Uniform
die keinem Lande zugehörig scheint

Wir traben durch die Straßen
Schmerzend unsere Füße
unsere Hände
unsere Rücken
Wir fühlen uns wie wandelnde Homunculi
unsere Extremitäten sind
aufgedunsen durch den Schmerz

Unter brennenden Sternen
ziehen wir in ein Gasthaus
und trinken zehntausend Schnäpse
Einen für jeden Tag
den wir überlebten
dann sterben wir wie alle anderen

Wir sind ein Heer aus wandelnden Toten
gekleidet in die Lumpen
unserer aufgegebenen Träume
In Fetzen hängen sie noch an uns herab

Unsere Armee zieht durch ein Niemandsland
durch Brachen verdrängter Kulturen
und verlorener Freundschaften
Wir sind eine anonyme Bewegung
einem Sturmwind entsprungen –
dem menschlichen Verstande

Unsere Mission von jeher absurd
Durch kalte Logik erschlossen:
Alles zerstören
was die anderen schufen
ihre Herkunft und Gesinnung
gilt uns als Zielscheibe nun

Hinter uns stehen andere schon Schlange
um das aus den Trümmern zu heben
was wir ruinierten
Nur die Menschen
können sie nicht wieder aufbauen
die haben sich umsonst gequält
dreißig, vierzig Jahre vielleicht
um dann eine Kugel in den Kopf zu kriegen

Das ist unser Leben
Das ist Entropie
Das ist das Gesetz
das wir uns schufen



Gondeln

Wohin aufgebracht die tausend Augen sehn,
seh ich nur schwarze Gondeln treiben,
die schwankend im Kanale stehn
und sich die Menschen einverleiben.

Die Gondeln tragen sie durch fahle Städte
durch die der Wind fährt, kühl und nass,
und bevor der Abend dämmert, jede Wette,
tragen sie nur noch glühend Hass.

Und durch die Straßen treiben Leute
von Gondeln aus den kleinen Mann
und irre nur die geifernd Meute
schlägt blind auf was sie sehen kann.

Da stürzen Häuserschluchten müde nieder,
so grau geworden vom täglichen Verdruss
Dazwischen seh ich Gondeln wieder
und in der Dunkelheit den ersten Schuss.



Kein neuer Mensch

Was all der Taten Lohn
vergessen macht dem toten Sohn,
ist jener kurze Augenblick
im Angesicht des Schicksalsritt,
in der er der Zügel Gewalt verliert
und im Fallen nur das Glück verspürt.

Doch der Vater, nun, der fängt ihn auf,
setzt ihn auf’s Pferd zum Hürdenlauf.
Der Jüngling gallopiert nun durch die Zeit,
macht furchtsam sich zum Sprung bereit
und landet in der Nebelbank,
in der sich einst der Vater fand.

Gemeinsam reiten sie in Hast nach vorn.
Nichts sehend bläst der Vater das Nebelhorn.
Und der Sohn folgt schweigend nach.
Und das Land ist karg, das Land ist brach.
Und ihre Eile, die wird nichts nützen,
denn vom Horizonte her
hört man schon das Donnern von Geschützen.

Doch nichts bremst ihren Untergangsritt,
bei dem der Dreck bei jedem Schritt
dem Sohne ins Gesichte schlägt,
der es wie ein Mann erträgt
und alles hinnimmt wie’s passiert
und gar nicht merkt, dass er krepiert.

Da sehen die beiden in den Nebelschwaden
plötzlich zwei Reiter, die ihnen entgegentraben.
Und erschüttert stellen sie fest:
Sie sind es selber. Sie sind die Pest,
Sie sind der Krieg und die Hungersnot
Und sie verkünden Schrecken bis in den Tod.

Und wütend ziehen sie durch das Land.
Nehmen sich, was sie können; den Rest stecken sie in Brand.
Denn niemand außer ihnen darf es haben,
damit sie immer größer werden, um im Überfluss zu baden.
Die Zukunft braucht sie jetzt nicht mehr zu kümmern,
denn schon bald beherrschen sie eine Welt aus Trümmern. 



Theodizee 

Ein verzweifelter Schrei ist es
der unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht
Es ist der überflüssige Schrei nach Gleichverteilung
der uns in die konsumatorischen Schlachthäuser der Gesellschaft treibt
Sieh uns doch nur an!
Mit unserem geschundenen Körper
und der vor Schmerzen zusammen gezogenen Visage
kauern wir verstört wie gequälte Tiere
in den düsteren Wäldern unserer verdrängten Wünsche
Wir schleichen nackt durch das feuchte Unterholz
auf der Suche nach unseren Gehirnen
die wir im Morast irgendwo zu finden glauben
Unter zuckenden Drohgebärden schreien wir die Worte gemeinsam in den Kosmos:
Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?
Doch der Kosmos antwortet nicht
Nur das Gehirn fängt laut an zu stöhnen:
Sieh mich nicht so an!
denn ich bin auch nur ein Werkzeug
getragen vom Menschen aus dem Walde in die Städte
und wenn ich dem Blicke eines Gottes würdig wäre
der in die trüben Häuserschluchten hinabsieht
und diesen ganzen Irrsinn da unten zu beobachten hätte
den wir durch dieses wundervolle Geschenk der Freiheit in die Welt scheißen –
Dieses nun lächerliche, immerfort währende Spiel
Dieses immer wieder Gleiche
Wenn ich es an seiner statt sehen könnte
wem sie da unten wirklich ausgesetzt sind
dann würde ich mich dem Unvermeidlichen hingeben
und mich grölend durch die wütenden Massen drängen
Ich würde einen von ihnen ergreifen
und zurück in den tobenden Pulk werfen
und irre lachend selbst hinterherspringen
und wieder Einer werden
der unter den Zehntausend Toten
der Treibenden taumelt
die in ihrem ichlosen Rausch
bald ihres eigenen vertrockneten Lebens seufzen
bald jene verstoßen
die eigentlich gemeinsam hassend
denselben primitiven Schmerz teilen müssten
Dann wird mir wieder bewusst, dass ich schon immer Teil dieser Masse war
und mir wird bewusst, dass wir alle denselben Weg beschreiten müssen
und unser Schicksal auf schreckliche Weise miteinander verbunden ist
Wir sind die zum Toben Gefallenen
Wir sind die Unglücklichen
die die trüben Schlachtfelder der Alltäglichkeit
mit den zerstückelten Leibern unserer Selbstachtung überschwemmen
Doch der Wüstensand schmeichelt uns mit einer angenehmen Wärme
und vom Winde getragen
streichelt er leise über unsere faulenden Kadawer
Doch als sich plötzlich einer unter uns erhebt
der kaum noch begraben unter Leichenbergen
sich die tropfenden Fleischlandschaften nach oben kämpft
Einer unter uns
der dem unbewegten Rest verkündet:
Ich bin! Doch ihr seid meiner nicht würdig!
während diese noch durch ihr Stillschweigen sich das eigene Ende auferlegen
Da klettert er nach oben!
Seine Füße stützen sich an den Köpfen der Verwesenden ab
Der Blick jedoch streift sie nur kaum
Seine unbeholfenen Bewegungen
suchen ja beinahe zärtlich
einen Weg in das begehrte Andere
während seine Genitalien schon wie wilde zucken
Sein Herz feuert
im Angesicht des bevorstehenden Triumphs
die explosivsten Rhythmen in den Raum
und donnernde Trommelschläge verfremden
die einst so natürlichen Bewegungen der Entschlafenen
in ein unförmiges, gleichgerichtetes Zappeln
Nun steht sie da
die irrsinnige Koryphäe
über den Häuptern der Gefallenen
und sonnt sich im Glanze ihrer Überheblichkeit
Als plötzlich einige unter ihnen
zu dem Narren hinaufsehen
und gleichsam spottend
in seiner Größe erstarren
und sich halb ironisch
vor der erhabenen Fassade verbeugen
Doch wie groß wird das Erstaunen sein
wenn er sich als einer der ihren offenbaren wird
Frenetischer Jubel wird den Himmel zerreißen
und wie besessen werden sich die heulenden Massen
unter ekstatischen Verrenkungen
in einem Sud des Überflüssigem herumwälzen
Sie werden es sich kaum eingestehen können
dass sie nur sich selbst in dem Angebeteten da oben lieben
und ihn doch gleichsam dafür verachten
dass sie nicht an seiner Stelle sein können
Doch der Zauber ist bereits vollzogen
denn dieser strahlende Gott da oben
wird nur einen Finger über die Lande streichen lassen
und dort wo er verharren bleibt
wird sich die Wut all der Irren da unten entladen
Und Blitze werden in den Boden schießen
Und die Welt wird vor Zorn erbeben
Dort wo der Finger verharrt
werden sie Feuer legen
und alles verbrennen
was brennbar ist
Dort wird es sein
was sie fällen werden
um selbst nicht gefällt zu werden
Dort wird es sein
was sie ab sofort zu verachten haben
um für alle Zeit zu sein
Dort wird ihnen einen Feind geboren
der ihnen die Angst vor der Perspektivlosigkeit nehmen wird
Sie werden ihn zerstückeln und seine Überreste verspeisen
Sie werden ihn sich gleichmäßig einverleiben
um sich ihres eigenen Daseins zu vergewissern
Doch sie werden ihn nicht besiegen können
weil der Finger immerfort auf etwas anderes zeigen wird
Und so kommen sie nie zur Ruhe
während ihre müden Glieder
von dem alltäglichen Schlachten
bald erschöpft in sich selbst zerfallen
und ihre Lippen den letzten Tone pfeifen
Dann wird sich niemand mehr nach ihnen umdrehen
Sie werden wieder steif sein wie die Toten
und in den Leichenbergen versinken
noch im törichten Gedanken das Richtige getan zu haben 



Weg ins Zentrum

Kreisend ums Zentrum
zieht mich das Ziel
nach Hause fort
zwischen stinkenden Mülltonnen
die sich am Wegesrand formieren
verbergen sich Schwingungen
und rotierende Flächen
meine Blicke folgen
unergründbaren Neigungen
Flüsse glühenden Lichts
die in mich drängen
ein Stocken in mir
das versucht die Gedanken zu halten
ein gemeinsames Schmelzen zu einem Punkt
imaginiert aus der Erinnerung an ein verbotenes Ganzes
der Asphalt zu meinen Füßen tritt zurück
mit jedem Schritt und jedem Tritt
Nichts ist mir noch etwas wert –
das Surren der Laternen
ein Automobil
das rostige Gitter
das Stampfen der Maschinen
im Hintergrundrausch
der Schmerz animalischer Ängste
das unaufhaltsame Laufen
ein Marschieren zum Ziel
ein unerfüllter Wunsch
vom Ende des Weges
vom Äther des Vergessens
ein Gedanke entspringt
der größer ist
als mich meine Vorstellung trägt
ein Rudern im Sande der Flüsse aus Zeit



Meta-morphose

Schwebend über alle Dinge 
bin ich jetzt gleich hier und dort.
Fand den Tod durch Messers Klinge,
flog zurück zum heil’gen Hort.

Im Badehaus der Götter lachend
stieg ich ein ins heiße Bad.
Fand mich selbst dort schlafend, wachend
im Dämmerschlaf, im engen Sarg.

Und gereinigt von des Daseins Wirren
Hörte ich bald Glöckchen klirren
vom Haupte jenes toten Narr, 

der tanzend auf dem Festgelage
glücklich ist seit jenem Tage,
als er erkannte, dass er ich selber war.



Der Possenreißer

Regengüsse fallen glühend nieder
und sterbend sing ich heitre Lieder
von erhaben nutzlos Herrlichkeit,
die stumpf noch glänzt unendlich weit.

Müde treib ich helle Träume,
Licht und Halt in dunkle Räume
und fass doch nichts als kalten Rauch,
der aus mir kommt, weil ich ihn brauch.

Bedrohlich still die Wolkenheere
reiten wild und kreuz und quere
am donnernd grauen Firmament,
das kühl mir auf den Nägeln brennt.

Ich renne hart vor weiche Wände,
taumle stets zum nächsten Ende
und in der Hoffnung auf ein stetes Glück
treibts mich in die Träume vor, zurück.



Bonzen

In meinen Träumen
durchschritt ich nächtliche Gassen
auf der Suche
nach sanitären Bedürfnisanstalten
Nackte Sonnenkönige vergnügten sich
auf wilder Jagd
durch leergefegte Einkaufszentren
umgeben von ihrem
mechanisch gröhlendem Hofgesinde
Ihre Pisse verehrten sie
wie heilige Reliquien
und hielten sie in
kunstvoll verzierten Kristallgläsern
gegen das Licht ihrer künstlichen Sonnen
In einem Zustand höchster Verzückung
führten sie das Gebräu an ihre Lippen
und tranken sich in Ekstase
Sie teilten ihre Erfahrungen
sogleich in den sozialen Netzwerken
um hohe Reaktionsquoten zu provozieren
Ich aber ging einfach nur pissen
und wusste sogleich
wo mein Problem lag



Soko H4

Die Behörden kommen
der Apparat funktioniert
Sie stürmen die Wohnung
räumen dein Bankkonto leer
Deine Bedürftigkeit 
ist überschritten
Deine Kinder zu fett
deine Wohnung zu groß
Dein Wecker klingelt
und du reagierst
Ein falscher Brief 
und du krepierst
Was könntest du auch tun?
Der Staat gibt
und nimmt dir alles
Iphigenie auf Hartz IV
gibt ihr Leben 
der Gemeinschaft hin
Opferritus für 
das Fortbestehen
unter dem Existenzminimum
Steuergelder gehören 
schließlich denen
die sich gutbezahlte Jobs
leisten können



Geheime Anwaltsgesellschaft

Man hörte das verzweifelte Lachen der Ziege
als sie zur Schlachtbank geführt wurde
Widderköpfige Anwälte
die nackt unter ihren dunklen Kutten waren
wollten Blut sehen
Die Angst der Ziege erregte sie
und wie sie mit ihren kleinen Beinchen
unruhig auf der Stelle tippelte
Sie war noch Jungfrau
Das machte den Reiz für sie aus
und erfüllte ihr magisches Klischee
das sie – gelangweilt vom Leben –
für ihr irrsinniges Ritual brauchten – –
Naja, auf jeden Fall
fickten sie dann die Ziege
schlitzten sie auf
und entnahmen ihr alles
was sie brauchten
Den Rest warfen sie weg



Neue Denkweisen

Überall auf der Welt findet man Menschen
die ihre pansexuellen Fantasien
in absurden Fetischen ausleben 

Manche geilen sich an Autounfällen auf
oder an dem Geruch öffentlicher Toiletten

Man muss eben neue Denkweisen eröffnen
um nicht so zu werden wie alle anderen
ansonsten kommt man im Denken und Fühlen
einfach nicht weiter –
nicht weiter als die anderen zumindest

Ich weiß nicht
ob viele ihre Selbstfindung
nicht einfach mit
Perversion verwechseln
oder mit Langeweile
Aber das ist eher Nebensache

Da sitzt etwa der Rentner
mit seinem Kissen am Fenster
und versteigt sich lieber
in abstruse Sexfantasien
die beim Anblick
von zerplatzenden Regentropfen
auf nassem Asphalt in ihm auffahren
als die Kälte dieses Bildes
in sich eindringen zu lassen

Er wischt Trübsinnigkeiten beiseite
und entscheidet sich damit
zwischen Altersschwachsinn und Melancholie

Er hat begriffen
dass das Leben
ein Durchhaltewettbewerb ist

Man muss eben neue Dinge erfinden
an denen man sich aufgeilen kann

Ansonsten bleibt man auf der Strecke



Herr & Knecht

Spielende Kinder in bläulichen Höhen
In ihnen ist’s dunkel, doch ihre Welt scheint so schön.
Die Welt ist erstarrt, doch das Lachen ist’s nicht
und die Wölfe, die heulen zum jüngsten Gericht. 

Ein Tag wird geboren, der Schäfer bleibt stumm.
Die Schafe, sie blöken und bringen sich um,
weil sie glauben und hoffen und wissen warum.
So stehen sie bald nackt da, geschoren und dumm. 



Stimmen

Sie leben in Scheiterhaufen
die mit Türen und Fenstern
versehen sind
krauchen durch Straßen
die nass sind
von dem Schweiß und den Tränen
ihrer vergessenen Ahnen
und ziehen in ihre
Pfefferkuchenhäuser hinaus
um die Nachbarskinder
anzulocken und fett zu füttern
Selbst mit ihrer Fettleibigkeit kämpfend
greifen sie in der Mittagspause
nach den Luxuskrawatten
die vom Club der Söhne herunterhängen
in die dunkle Stadt Metropolis
Dabei werden sie
von allen Seiten angeschrien
Kratzige Stimmen aus alten Lautsprechern
Stimmen der großen Brüder
die ihnen sagen
dass ihre Hoffnungen und Wünsche
vergeblich sein werden
Stimmen die ihnen suggerieren
dass sie nichts weiter als Sklaven sind
dass ihr Leben ohne Bedeutung ist
und dass ihnen niemand helfen wird
wenn sie einmal fallen
Stimmen die ihre Stimmen übertönen
die selbst voller Hass
und Verzweiflung sind
brüllend aus Köpfen voller Leere
und ohne Perspektiven
Die Stimmen werden bald zu ihren Stimmen
und bald nehmen sie den Erstbesten
der schwächer ist als sie
und brennen ihre Scheiterhaufen nieder
und brüllen und schreien und lachen
in wahnsinniger Wut



Vom Schiffbruch des Lebens

Unter weißen Wolken auf schwarzem Grund 
und vergessen auf dem Erdenrund
liegt vereinsamt im Boote ein kleines Kind,
das auf dem Weltenmeere schwimmt.

Unruhig treibt es im Wasser umher,
setzt sich doch bald dem Meere zur Wehr,
denn es versteht nicht, was hier passiert,
weil es seinen Standpunkt stets verliert.

Und rauschend durch Stürme vom Berge ins Tal
krallt sich das Kind in aller Todesqual
mit den Händen in den Bug seines Gefährts,
damit es etwas spürt und sei es nur Schmerz.

Es schreit wie besessen. Es schreit wie im Wahn
und die Wellen schlagen an den klappernden Kahn,
doch der denkt nicht daran aufzugeben.
Er hält sich über Wasser. Er hält sich am Leben.

Und in des Paniks höchstem Punkt
behält das Kind die Fassung und öffnet den Mund.
Es besänftigt den Sturm mit einem einzigen Wort
und verwandelt das Meer in einen geruhsamen Ort.

Doch in dieser Idylle bewegt es sich kein Stück.
Es sehnt sich nach Schöpfung. Es sehnt sich nach Glück,
nach einem Ziele, für das es sich zu Rudern lohnt
und es blickt zum Himmel und es erwählt sich den Mond.

Verzweifelt rudert das Kind nun die ganze Nacht,
doch es kommt ihm nicht näher. Es fehlt ihm die Kraft.
Da sieht es am Horizont ein einzelnes Schiff,
setzt darauf zu und hat’s bald im Griff.

Kaum reicht ihm der Fährmann helfend die Hand,
da bemerkt das Kind die Mondsichel auf seinem Gewand.
Es fragt, was das sei. Es wolle dorthin.
Da lacht der Fährmann und fragt nach Gewinn.

Intuitiv öffnet das Kind seinen Mund.
Da tritt es hervor: ganz platt und doch rund.
Ein goldener Taler, den es dem Fährmann nun schenkt.
Der hisst dann das Segel und füllt es mit Wind.

Gemeinsam fahren sie dem Monde entgegen.
Das Kind gedenkt seinem furchtsamen Leben
und betrachtet im Wasser sein Spiegelbild.
Da wird es bald unruhig. Da wird es bald wild.

Denn sein Gesicht ist zur Totenmaske verzogen.
Es war nie unter Lebenden. Es war unter Toten.
Das ist die traurige Bilanz, die es nun zieht
und muss erkennen, dass es weiter nichts gibt. 

Nichts weiter als dieses endlose Meer
und dieses Meer von Momenten ist von Gedanken ganz schwer.
Von Gedanken nur, aus denen hier alles besteht
und das Kind blickt zum Monde und sieht, dass er bebt.



Ekstasis

Schmeiß Höllenqualen beiseite, die ich dir ewig gab
und wirf dein noch nutzlos Leben obendrauf.
Zerbrich die Spiegel deiner Selbst und sag:
Scheiß auf dich! Ich hör jetzt auf und sauf!

Geh trunken deines Weges, leg dich in trauter Gossʼ zur Ruh,
ins Delir, in dem dir tausend Träume reichen,
im Schlummer denke noch: das in der Gossʼ bist du
und wart nicht drauf, dass die Visionen weichen.

Stöhn traurig Fetzen noch hervor –
in betrunken Ohr ein Himmelschor,
in müdem Wahn und Halluzinationen

vom Mensch am Abgrund, Völlerei, 
hörst du den Schrei von untergehenden Nationen.
Ein letztes Röcheln noch, dann istʼs vorbei.



Angst

Wir haben Angst
Angst vor den harten Schlägen
Angst vor den Schmerzen
Angst vor den Berührungen
Wir haben Angst vor der Bestrafung
Angst vor der Kontrolle
Angst voreinander
Wir haben Angst vor Verstümmelungen
Angst vor Veränderung
Angst vor uns selbst
Wir haben Angst vor den Blicken der Anderen
Vor ihrer Kritik
Und ihrer Meinung
Wir haben Angst sie könnten uns durchschauen
Haben Angst davor sie könnten uns verletzen
Haben Angst davor SIE könnten keine Angst haben
Haben Angst davor sie könnten uns beobachten
Angst davor sie könnten uns nicht sehen
Wir haben Angst davor sie könnten besser sein als wir
Und wir haben Angst davor schlecht zu sein
Und minderwertig
Schwach und zerbrechlich
Wir haben Angst davor das alles sagen zu müssen
Vor all den Anderen in unserer ganzen Blöße
Und haben Angst vor dem Moment in dem es passiert
Haben Angst vor der Armut
Angst vor der Einsamkeit
Angst vor dem eigenen Ende
Angst vor dem Ende des Anderen
Angst vor der Hilflosigkeit
Angst vor dem Alter
Angst vor der Hässlichkeit
Wir haben Angst vor dem Spiegelbild
Das der Andere uns entgegenwirft
Wir haben Angst davor Fehler zu begehen
Angst vor dem Erfolg
Wir haben Angst davor etwas zu verlieren
Dass wir noch gar nicht haben
Wir haben Angst vor dem Alten
Angst vor dem Neuen
Angst vor Wiederholung
Angst vor der Arbeit
Angst vor den Menschen
Angst vor der Sprache
Angst vor Missverständnissen
Wir haben Angst davor zurückzutreten
Haben Angst vor der Dunkelheit
Angst vor den Dingen die wir nicht sehen
Wir haben Angst vor dem Zerfall
Und ungeklärten Fragen
Angst vor dem Unbekannten
Wir haben Angst vor Vergewaltigern
Und Mördern
Und randalierenden Fußballfans
Wir haben Angst vor Soldaten
Und Tyrannen
Angst vor jenen die mächtiger sind als wir
Wir haben Angst vor dem Gesetz
Und Angst vor dem Ruin
Wir haben Angst vor 1984
Und Angst vor der Schönen neuen Welt
Wir haben Angst um unsere Familie
Unsere Freunde
Und um unseren Besitz
Und haben Angst davor selbst besessen zu werden
Wir haben Angst vor der Zukunft
Und Angst vor der Vergangenheit
Haben Angst vor der Unbegreiflichkeit der Gegenwart
Wir haben Angst vor Körpersäften
Haben Angst vor unserer eigenen Scheiße
Und Angst vor der Unwiederbringlichkeit des Augenblicks
Wir haben Angst vor Höhen
Und Angst vor Spinnen
Angst vor dem anderen Geschlecht
Angst vor der Schönheit
Und Angst vor dem Versagen
Wir haben Angst vor dem Krieg
Und vor der Finanzkrise
Wir haben Angst vor dem Jüngsten Tag
Und Angst davor dass wir ihn selbst nicht miterleben
Wir haben Angst vor Löchern
Und Angst vor der Leere
Und Angst vor Verfolgern
Wir haben Angst vor unseren Träumen
Und Angst vor dem Erwachen
Wir haben Angst vor zahmen Tieren
Angst vor Bakterien
Ja sogar Angst vor Gott
Wir haben Angst davor nicht frei zu sein
Und Angst vor der Wahrheit
Wir haben Angst davor der Andere könnte uns nicht verstehen
Und haben Angst vor dem Moment in dem es auch passiert
Wir haben Angst vor unserem Körper
Und Angst vor unserem Geist
Wir haben Angst vor Zerstörung
Und Angst vor Verantwortung
Wir haben Angst vor dem Erwachsenwerden
Und Angst vor unserer Kindheit
Wir haben Angst vor Vergeltung
Und Rache
Und Wut
Und allen anderen Gefühlen
Wir haben Angst
Angst
Angst
Und immer wieder Angst
Wir haben sogar Angst davor uns das einzugestehen
Und haben Angst vor der Angst selbst
Jeder trägt sie immerzu mit sich herum
Und selbst unsere Träume
Und Wünsche
Unsere Hoffnungen
Ja sie alle entspringen einer tiefverwurzelten Angst
Und diese Angst ist es die uns doch alle verbindet
Und die wir nicht los werden
Solange wir uns unserer Angst nicht stellen
Solange wächst sie im Stillen weiter
Und wartet auf den Moment
In dem sie uns ganz und gar verschlingen kann
Wir sind die Angst
und die Wut
und das Leid
in Ewigkeit
Amen




Sächsische Männer

Ich habe Angst vor sächsischen Männern
bierbäuchig und pöbelnd
die Wänste fett
die Köpfe hohl
gewaltbereit und schon mittags besoffen
mit der Molle in der Hand
ihre Wut in die Bahn kotzend


Sächsische Männer
die jungen Mädchen
in dunklen Parks auflauern
die erwachsene Frauen vergewaltigen
die kleine Kinder ficken
und ihre Taten auch noch auf Video aufzeichnen


Sächsische Männer
die sich abends aus dem Haus schleichen
um Flüchtlingsheime anzuzünden
die voller Familien sind
mit Frauen und Kindern 

die Angst haben 
vor sächsischen Männern und Frauen
die wiederum die Schutzsuchenden
anpöbeln und sie durch die Straßen jagen
und das nur
weil sie fremd sind


Ich habe Angst vor Männern und Frauen
die montags durch die Straßen ziehen
ihre Hasstiraden auf den Lippen
und gar keine Argumente mehr suchen
sondern nur noch Selbstbestätigung
und Anleitung zum Handeln
Die ihrem Schmerz
nur noch Ausdruck verleihen können
durch rasende Wut und Gewaltexzesse
und die Straßen zu Schauplätzen ihrer Angst machen


Da muss man doch was machen!
Sagen sich diese sächsischen Männer
die sich im Ausland
wie die letzten Wichser aufführen
Die besoffen durch die Straßen ziehen
in fleckigen Unterhemden und Hosen aus Taiwan
und sich über die ausländischen Sitten und Gebräuche beschweren
Die ausländische Frauen belästigen
im eigenen Land
und fröhlich ihre Reichskriegsflaggen schwenken
und nur noch glücklich sind
wenn sie in grölenden Gruppen
ihren Frust in die Welt schreien
oder sich gegenseitig aufs Maul hauen
und damit für den Verfall der Sitten
im eigenen Land sorgen


Ich habe keinen Bock mehr auf sie!
Keinen Bock mehr auf sächsische Männer
und Vorurteile und Hass




Kultur

Weihnachten in Familie
ich habs gesehen
tausend Mal und mehr
das Fest der Oberflächlichkeit
und Inhaltsleere
Zwischen Völlerei und Überfluss
wird unaufhörlich gelacht
Familienidylle wird simuliert
Wir reden nicht wirklich miteinander
nur platte und vulgäre Witze
lassen uns die Zeit überbrücken
zum nächsten Essen
oder zum Geschenke-Auspacken
Wir erfahren nichts voneinander
Zwischen den Witzen
tritt betretenes Schweigen ein
in der sich die Wahrheit offenbart
und die Illusion zerfällt
Die Bedrückung wird größer
etwas muss sich entladen
aber niemand kommt auf die Idee
den Raum mit Ehrlichkeit zu füllen
Stattdessen wird nach der
nächsten Oberflächlichkeit gesucht
nach dem nächsten platten Witz
Ich lache mit –
um nicht zu zerbrechen

Beim Gehen erinnere ich mich
an die Zeit
in der ich noch nicht lebte
zur Schule ging
und in kalter Einsamkeit versank
Mir wird bewusst
wie leer ich damals war
wie jede Bewegung Flucht bedeutete
und das Dasein nur Schmerz bereitete
Der Fernseher war ein Gott
und Beelzebub zugleich 
der die Lebenszeit zerfraß
und sich von Leichen ernährte
Beziehungen wurden durch ihn
noch mehr zerfasert
und wirkten nur noch aufgesetzt
Später kam der Rausch hinzu
der mir immerhin noch
andere Perspektiven zeigte
Vielleicht kam ich
durch ihn erst
zur Kultur
zu jenem Drang des Ausdrucks
der stetig in mir wuchs
und überhaupt erst
mein Interesse für die Welt erweckte
indem er die traurige Tristesse
im Gelage niederschlug 

Wie eine Geburt fühlte sich das Wegziehen an
sich Kunst und Wissenschaften hinzugeben
und Menschen zu treffen
die eben jene Leidenschften teilten
Eskapismus und Depressionen
wurden seltener
Ich fing zu leben an 

Schwer vorzustellen
dass Andere
mein früheres Dasein
an meiner statt weiterführten
Ich wäre daran zerbrochen
Tag um Tag



Rollendes Gefängnis

Mein Vater starb in einem rollenden Gefängnis
geschmiedet aus einer Legierung
von zweifelhaften Tugenden
und existentiellen Ängsten

Mein Vater starb in einem rollenden Gefängnis
fahrend durch die Trümmerlandschaft des Sozialismus
getrieben von Interessen westlicher Investoren
die auch die seinen waren

Mein Vater starb in einem rollenden Gefängnis
mit einer Uhr im Nacken
die plötzlich immer schneller tickte
und ihn nicht mehr ruhig schlafen ließ

Mein Vater starb in einem rollenden Gefängnis
gelegt in die Ketten beruflicher Obliegenheiten 
und familiärer Verantwortung
und in der Hoffnung auf bessere Zeiten

Mein Vater starb in einem rollenden Gefängnis
und hatte nichts getan
als den Ansprüchen dieser Gesellschaft 
zu genügen

Mein Vater starb in einem rollenden Gefängnis
in einer Zeit 
in der Aufbau und Niedergang
in Wirklichkeit dasselbe waren

Mein Vater starb in einem rollenden Gefängnis
weil er seiner unstillbaren Gier nach Anerkennung 
nicht Herr werden konnte



Weltentfremdungstrieb

Im Dunkeln wurd ich einst vergessen,
seitdem bin ich vom Licht besessen.
Die ganze Nacht konnt ich nicht schlafen.
Ich glaubte man wolle mich bestrafen,
stundenlang wälzte ich mich umher
und das Laken wurd zu heißem Teer,
der mich zu ersticken, zu verschlingen drohte,
glaubte mich auf hoher See im wiegend Boote
und hatte Angst hinaus zu fallen
ins tobend Meer, ins Weltenall.
Doch nichts geschah dergleichen,
war weder auf See noch auf stillen Teichen.
Ich war nur ein Kind und wollte träumen,
sehnte mich nach fernen Ländern, unerschlossenen Räumen.
Ich stahl mich weg aus der dunklen Zeit,
denn des Leid erleidens war ich leid.
Ich flüchtete mich in meine Welt,
ohne Verpflichtungen und ohne Geld
und war so glücklich, war verliebt,
konnt nicht glauben, dass es etwas anderes gibt.
So konnt ich von meinen Träumen leben
Und gern würd ich Anderen etwas davon geben,
von meiner Hoffnung, meiner Liebe,
vom großen Weltentfremdungstriebe. 



Acidheads

Ich sah in deine tellergroßen Augen
und leckte den Schweiß von deiner Stirn
wollte den Junk aus deinen Venen saugen
und das Acid aus deinem Hirn

Doch süchtig war ich nie nach dir
Die Trips hielten uns zusammen
Unser beider Kind war unsre Gier
und im Wahn warn wir gefangen



Nutten

Alles Nutten
sagte er immer
Er brachte es
einfach nicht zustande
vom anderen Geschlecht
zu reden
ohne dabei die Worte
– halb geschrien –
Nutten!
oder
Schlampen!
zu benutzen
Auch von seinen
Partnerinnen
sprach er stets
in diesem Ton
Später sagte er mir
dass er eigentlich
auf Männer stand
Er traute sich nicht
sich das einzugestehen
Heimlich traf er sich
mit einsamen
Lastwagenfahrern
auf vielbefahrenen
Autobahnraststätten



Tesserakt

Schneid
du Liebelei
die Brotkruste
aus deinen Lenden
Sieh zu
dass du
die Dunkelheit
im Kammerlicht
stets bei dir trägst
Riech Rotz
in marmornen
Samenleitern
Genügsam grau
bist du der Tesserakt
in doppelter Rotation
auf zwei orthogonalen Ebenen
Gebunden an
Gesinnungskriege
legst du
deine Schattenmantel ab



Alles Denken ist geschwunden

Alles Denken ist geschwunden 
aus dem Fleisch, das schwarz und rot
am Zaune hängt, straff angebunden,
einst Freunde waren und jetzt tot.



Weltenwuchs

Eine Welt ist in mir gewachsen,
so groß, dass sie mich zerreißt,
in tausend Splitter, die zerplatzen,
dass mir nichts andres bleibt
als den Körper zu vergessen,
der mir keinen Weg mehr weist.

Formlos streift nun mein Geist umher
über Landschaften sondergleichen,
so masselos doch gedankenschwer
muss er doch bald begreifen,
in die Erde sinken und vergehen
und keinem Widerstande weichen. 

Der Körper, der ich einst noch war,
ist jetzt der Baum, der Stein, das Wasser.
Ob Knochen oder Haut und Haar,
ich bin Feuer in allen Gassen,
und bin vom Wind getragen noch
ein Sklave aller Form und Massen.


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