Dresden, Vietnam

Dresden, Vietnam

Das Hot Wok am Wasaplatz birgt ein Geheimnis. Es ist nicht nur ein Restaurant für asiatische Spezialitäten, sondern bietet neben der angenehmen Atmosphäre auch Künstlern aus Fernost die Möglichkeit ihre Kunstwerke in Deutschland auszuhängen und zu verkaufen. Wir sind dem Geheimnis auf die Spur gegangen.

Bild von La Vuong.

Wenn man sich die karge Steintreppe zum Eingang des Hot Wok hinaufschleppt, sich am kalten Eisengeländer festhält und darüber hinaus in den verfallenen Hinterhof des Nachbarhauses sieht, so erwartet man noch eines jener typischen Chinarestaurants, in denen die goldgelb schimmernden Innenwände bereits vom ranzigen Bratfett verkrustet sind und deren schwitzende Köchin den Eindruck macht, man müsse befürchten, dass der gute Kater Morle den schwingenden Hieben ihres Fleischerbeils zum Opfer gefallen ist. Doch die Eingangspforte erst einmal aufgestoßen, möchte man am Liebsten vor Ehrfurcht erstarren, auf die Knie fallen und um Vergebung für seine törichten Mutmaßungen bitten; denn das Hot Wok ist anders.

 

Schon der erste Eindruck lässt den Besucher das asiatische Bestreben nach Perfektion und Harmonie spüren: die Wände sind in warmen Farben gestrichen, Tische und Fensterbretter sind liebevoll dekoriert und zeigen nicht das geringste Anzeichen von Kitsch. Dazu wird das ganze Ambiente von gediegener Jazzmusik untermalt und überall hängen Gemälde unbekannter Künstler. 

Was in der Raumgestaltung angefangen hat, wird in der Küche weitergeführt, die etwas abseits liegt, um nicht unnötig Unruhe in den Raum zu bringen. Neben chinesischen, vietnamesischen und thailändischen Speisen findet sich hier sogar ein Sushikoch, der hinter der Bar unaufhörlich seiner filigranen Kunst nachgeht. 

Bild von Duong Huy.

Doch erst nach wiederholten Besuchen wenn der erste Eindruck einmal verflogen ist stellt man sich die Frage, wer eigentlich der Künstler sei, der hinter all diesen Kunstwerken steht, die sich in jene lebendige Kulisse so nahtlos mit einfügen. So erging es mir persönlich jedenfalls, denn früher bin ich sehr oft hier gewesen; manchmal sogar fast jede Woche. Ich hatte damals noch sehr viele Vorlesungen in der August-Bebel-Straße und bin anschließend mit einem guten Freund hier essen gegangen. Staunend haben wir beobachtet wie die Kunstwerke beständig wechselten. Doch erfahren haben wir nie, wer dieser scheinbar sehr produktive Künstler sei, der hier ausstellte; schließlich gab es „wichtigere“ (philosophische) Fragen zu klären. Allerdings war uns schon damals bewusst, dass Kunst niemals das Produkt eines Einzelnen sei, sondern immer der lebendige Ausdruck eines Volkes bleibt, einer Gruppe oder einer Strömung, der sich den Gesetzen der Natur entsprechend den Weg durch die Kultur bahnt. 

Die Wurzeln lagen, das war unübersehbar, in der asiatischen Welt, war aber durch die europäische geprägt worden. Aber wir fanden kein Indiz, das mit Sicherheit darauf verweisen konnte. Kein Name des Künstlers oder des Titels war zu finden, nur ein kleines Preisschild, das ein wenig versteckt, am unteren Bildrand angebracht war. – Das Ganze war uns ein Mysterium, ein Rätsel, wenn man so will. Wir scheuten uns aber noch diesem auf den Grund zu gehen, stattdessen philosophierten wir über den Diskurs, der hier stattfand, schließlich befanden sich die Kunstwerke in einem öffentlichen Raum. Das Problem aber war: er fand nur hier statt, kam über die Raumgrenzen nicht hinaus. Es wurde nicht „gesprochen sondern nur gezeigt.

Bild von La Vuong.

Das Hot Wok wurde in unseren Gesprächen daher sehr bald zur Verkörperung der asiatischen Mentalität, die sich aus der Sicht des Europäers vor allem in einer unnötigen Schüchternheit darstellt. Bald, so zeigte es sich, war diese Einstellung gar nicht so asiatisch wie wir dachten, wenn man sich vor Augen hält wie in Dresden mit Kunst umgegangen wird. Auch hier findet sich diese Zurückgezogenheit und Verschlossenheit. Die „junge“ Kunstszene hält sich sehr bedeckt und man hat fast den Eindruck, die Künstler fürchten sich davor ihre Werke ins öffentliche Gespräch zu bringen, aus Angst sie könnten sich ihren Ruf ruinieren. Daher bewegen sich die meisten Ausstellungen in engen Kreisen mit immer wieder denselben Leuten. Wie aber sollte das der Kunst förderlich sein? Zumindest aus meiner (etwas idealistischen) Sicht ist die Kultur im Ganzen ein von den Menschen hervorgebrachtes Gesamtkunstwerk, das in der Rückschau keine hemmenden Kräfte der Scheiterer kennt, da jeder Impuls – ob im Guten wie im Schlechten – eine Bewegung in der Kunst verursacht, die am Ende nur den Ausdruck jener Möglichkeiten sucht, die die Natur nicht aus sich selbst hervorbringen konnte, sondern dazu eines komplexen Wesens bedurfte wie es der Mensch ist. Nach kurzer Überlegung wird dabei auffallen, dass ein Kunstwerk in diesem Sinne niemals durch eine subjektive Beurteilung geschmälert werden kann, sondern dass die Kritik lediglich den benötigten Input geben kann, der weitere Bewegungen in der Kunst bedingen wird. Mein Motto der Kunst gegenüber war daher immer, so plakativ es auch klingen mag: Hauptsache es schmeckt! Denn wenn das, was man da geschaffen hat, einem selbst zusagt, wird es auch Andere geben, die einen ähnlichen Geschmack haben, die ebenfalls Gefallen daran finden; und wenn nicht, dann kann man sich streiten, dann kann man diskutieren, dann kann man provozieren, dann ist man im Gespräch. – Und da wären wir wieder beim Hot Wok, das bedauerlicherweise nicht im Gespräch ist, obwohl die hier ausgestellten Werke durchaus schmackhaft sind. Doch wie kam es, dass sie nicht ausgeschrieben wurden? Wieso wurde keine Öffentlichkeitsarbeit betrieben? – Es war Zeit der Sache auf den Grund zu gehen. 

Ich habe deshalb einen Termin mit dem Geschäftsführer Hai Phan ausgemacht, der mir das Geheimnis verriet: Er selbst hatte einen Teil der Bilder in seiner Freizeit gemalt, doch die Spuren der anderen Werke führten noch weiter  nämlich bis nach Hanoi, in die Hauptstadt Vietnams. Hai Phan war 1993 aus persönlichen Gründen nach Deutschland emigriert, reist aber noch einmal jährlich zurück in seine Heimat. Dort hat er guten Kontakt zum Inhaber der Huy Hung Gallery, die vorwiegend Gemälde weltbekannter Künstler nachmalt. Natürlich brauchen die dort tätigen Maler auch einmal eine Auszeit vom vielen kopieren und schaffen deshalb eigene Werke, und da das Hot Wok schon Zeit seines Daseins viel Wert auf eine individuelle Innengestaltung gelegt hatte, war sehr schnell die Idee geboren, die eigenständigen Arbeiten der Künstler dort auszustellen und zu verkaufen. 

Der Besitzer des Hot Wok: Hai Phan mit einem seiner Gemälde.

Tragischerweise haben sich nun schon viele Werke angesammelt, dass in dem Restaurant gar kein Platz mehr ist, um alle Werke auszuhängen, deshalb werden schrittweise jene Gemälde, die sonst in einem Hinterzimmer vor sich hinvegetieren, durch die ausgestellten ersetzt, was eine andauernde Bewegung im Geschäftsbereich erzeugt. Aufgrund der bereits erwähnten asiatischen Zurückhaltung aber auch wegen fehlender Kontakte zur deutschen Kunstszene blieben die ausgestellten Werke bisher unkommentiert, obwohl ein reges Interesse der Besucher des Hot Wok gegenüber den Arbeiten gezeigt wurde. 

Infolge dieser Erkenntnis möchte man abermals auf die Knie fallen und um Vergebung für seine törichten Mutmaßungen bitten, denn uns wurde gezeigt, dass sich die Kunstwerke die ganze Zeit in einem öffentlichen Diskurs befanden und zwar dort, wo wir ihn nicht vermutet hätten, nämlich in Vietnam, am anderen Ende der Welt. In Deutschland wurden lediglich ein paar Brotkrumen ausgestreut, um zu ihn zu finden.

Bild von Ngo Dang.

Es wirkt dabei schon fast edelmütig, dass Hai Phan die Gemälde vorzugsweise für sich selbst und die befreundeten Künstler ausgehängt hat, die sonst keine Möglichkeit hätten ihre Schöpfungen einem europäischen Publikum zu zeigen. Wir hoffen aber gerade deshalb, dass die Zahl unserer einheimischen Rezipienten in Zukunft wächst, vor allem da der Familienbetrieb bereits ein zweites Lokal an den Brühlschen Terassen eröffnet hat; mit mehr Räumen, mehr Platz und mehr Bildern. 

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