I SHOW YOUR MIND

Accomplices IV ‒ I SHOW YOUR MIND 

Eine Ausstellung über Paranoia und Verschwörungstheorien


Der menschliche Verstand beruht auf der Fähigkeit Muster zu erkennen und Ereignisse in Zusammenhang zu bringen. Doch Zusammenhänge können scheinbar beliebig zwischen Ereignissen und Informationen geknüpft werden, wenn wir nur gewillt sind, nach ihnen zu suchen. Muster ergeben sich durch unsere eingeschränkte Wahrnehmung quasi von selbst und die Logik ist nicht unbedingt unser Freund auf der Suche nach der Erkenntnis. Denn sie befähigt uns auch dazu die Unwahrheit zu beweisen.


 

Text von Constanze Fanger & Stephan Zwerenz

Willkommen in Ihrem Geist – Sie betreten ein Experimentierfeld der Gedanken, ein Laboratorium des Chaos und der Ordnung, des Zufalls und Zusammenhangs. Suchen Sie die künstlerischen Verschwörer hinter der Fassade des Hole of Fame und entdecken Sie den Paranoiker in sich. 
 
Eine Woche lang haben sich die Ideengeber der Ausstellung eingeschlossen, um in die Gedankenwelt eines Verschwörungstheoretikers einzutauchen: Zwischen Zeitungsartikeln, Bildern, Artefakten und wirren Aufzeichnungen entstanden so Zusammenhänge einer neuen Ordnung. Der assoziative Wahnsinn ist hier selbst am Werk. Zugleich waren die Türen des Hole of Fame immer offen für zufällige oder absichtliche Besucher und Bastler, wobei sich die Hypothese des Experiments bestätigte: der Mensch hat eine natürliche Veranlagung zur Paranoia, denn wir sind alle verstrickt in unsere verzweifelte Suche nach Wissen, das Bedürfnis nach einem roten Faden. Und gepaart mit instinktivem Misstrauen gegenüber dem unsichtbar Wirkenden, wünschen wir uns zugleich eine Sinngebung durch das Andere.


Bei der Untersuchung des menschlichen Verstandes musste David Hume feststellen, dass wir zusammen auftretende Ereignisse als Ursachen und Wirkungen interpretieren, obwohl der Kausalzusammenhang nicht direkt beobachtbar ist: „Ein Ereignis folgt dem anderen; aber nie können wir irgendein Band zwischen ihnen beobachten.“ Vielmehr legen wir dieses Band der Kausalität in die Welt hinein. Häuft sich das Zusammentreffen bestimmter Ereignisse, so gewöhnen wir uns daran, sie miteinander zu verknüpfen. Wir werden durch diese Wiederholungen gewissermaßen konditioniert. Repetitionen kennen wir auch aus Praktiken der Gehirnwäsche oder der Propaganda, kennen wir von den Bühnen der LTI, von Hasspredigern oder den Pegida-Demonstrationen. Auf diesen Bühnen wird durch die mantraartigen Wiederholungen die Sprache und das Denken verändert und somit „Wissen“ und „Wahrheit“ geschaffen. Die Realitäten der Anwesenden werden verändert oder neu strukturiert. 

Durch Hume aus seinem dogmatischen Schlummer erweckt, erklärte Immanuel Kant die Kausalität zu einer Kategorie des Verstandes, die Erfahrungen im eigentlichen Sinne ermöglicht. Unser Verstand ist darauf ausgelegt, Muster zu erkennen. Wie die Dinge wirklich sind, können wir aber nicht erfassen, und somit bewegen wir uns bei der Suche nach Wissen immer irgendwo zwischen Entdeckung und Konstruktion. Was wir sehen und entdecken hängt nicht zuletzt von unseren Weltbildern und den damit verbundenen Erwartungen ab. So werden unerwartete Anomalien lieber ignoriert oder mit Zusatzbedingungen umständlich in die Welttheorie hineingebastelt, bevor man das Wagnis eines Perspektivenwechsels auf sich nimmt. Diesen Zirkel in der Erkenntnisgewinnung, der gewisse paranoische Strukturen der Selbstbestätigung aufzuweisen scheint, beschreibt der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn als normale wissenschaftliche Praxis. 


Wissenschaftliche Paradigmen, politische oder persönliche Weltbilder bergen, sobald sie einer hypoperspektivischen Vereinseitigung erliegen, die Gefahr in sich, zu Ideologien auszuwachsen, die laut Slavoj Žižek grundsätzlich paranoisch strukturiert sind. Er meint damit nicht nur das Suchen nach einem Schuldigen, sondern gleichsam den verzweifelten Versuch, mit einer Weltsicht alle Phänome erklären zu wollen. Dabei scheint die Antwort aber schon gefunden.[1] Jede Suche endet deshalb in einer Bestätigung der eigenen Perspektive. Was nicht in das Weltbild hineinpasst, lässt sich durch einen einfachen Trick integrieren: Gegenbeweise sind Beweise für die Macht der Vertuschung und Fehlinformation, die von Verschwörern ausgeht. Alles hat mit allem zu tun. Mit dieser Immunisierungsstrategie wird eine Geschlossenheit erzeugt, die sich immer wieder selbst bestätigt und aus der heraus die Welt gesehen wird. Somit können überall (Warn-)Signale entdeckt werden, die uns vor dem Weg des Anderen warnen. Suchet, so werdet ihr finden. 

Hinter allem Geschehen einen Täter mit Absichten und Interessen zu vermuten, erkennt Nietzsche als einen psychologischen Grundzug und als unsere älteste Gewohnheit. Daran ist nicht zuletzt die Sprache schuld, denn diese ist verführerisch: nicht nur, dass sie einzelne Dinge in Begriffen verallgemeinert (die Homogenisierung von Gruppen ist nach Robert Anton Wilson ein Merkmal von Verschwörungstheorien, welche z.T. ganze Völker diffamieren), sie formuliert auch aufgrund ihrer grammatischen Struktur jedes eigentlich passive Geschehen als Aktivität. 

Wie können wir zwischen bloßem Geschehen und einer Handlung unterscheiden? Welches Kriterium haben wir für eine „richtige“ oder „gesunde“ Sichtweise? Was veranlasst uns dazu, über den Paranoiker vorschnell zu urteilen? Wer ist der kritische Geist, wer der Naive, der sich manipulieren lässt? Ist es eine Glaubensfrage, die uns eine Antwort darauf finden lässt? 



Die Unmöglichkeit darüber ein gültiges Urteil zu fällen, rührt daher, dass sich Verschwörungstheorien auf etwas nicht direkt Wahrnehmbares richten, auf ein Negatives. Entweder gibt es gar keine Verschwörung oder es gibt eine, die aber unter dem Deckmantel der Nichtvorhandenheit agiert – denn die geheimen Verschwörer versuchen alles, um nicht als solche wahrgenommen zu werden und trotzdem bzw. gerade deshalb wirksam sein zu können. 

Dies macht die Immunität von Verschwörungstheorien gegenüber Kritik aus: das Nichts lässt sich nicht ausfüllen, eine Falsifizierung ist nicht möglich; die Theorie kann nur verifiziert werden, indem die Verschwörung aufgedeckt wird, eine Manifestation im Offenbarwerden. Eine gute Verschwörungstheorie ist nicht widerlegbar, und somit werden die Verschwörer gottähnlich – ein deus absconditus, unsichtbar, allmächtig und abwesend. Wahrnehmbar ist dieser Puppenspieler nur in seinen Wirkungen, in den Geschehnissen, die in einen erzählerischen Zusammenhang gebracht werden müssen. 

 

Die Narrative unserer Zeit werden von postmodernen Sprach- und Kulturtheoretikern vor dem Hintergrund beleuchtet, dass das, was gesagt wird, und das, was es bedeutet, auseinanderfallen. Der Dekonstruktivismus versucht, in Texten die jeweils versteckten Interessen, die Strukturen der Diskursmacht freizulegen – auch unabhängig von der Absicht des Autors. Der grundsätzlich skeptische Blick „hinter“ den Text ist Teil der Interpretationspraxis. Wird die Welt sogar als Text verstanden, den man lesen kann und dessen Rhetorik man entlarvt, dann überlebt möglicherweise auch etwas von dem Autorgedanken in dieser Metapher. 

Überall begegnet uns die kritische Reflexion, dass das Offensichtliche nur eine Fassade ist, etwas dahinter zu vermuten ist gesunde Skepsis, dahinter zu blicken ist Aufklärungsarbeit. Die Unerschöpflichkeit dieses Vordringens in das Dahinter lässt unsere Suche nach Erkenntnis langsam in paranoiden Wahnsinn abgleiten (verbunden mit dem Bedürfnis nach einer einfachen Erklärung – aber sind Verschwörungstheorien, die zur Festigung ihrer Konsistenz die ganze Geschichte umschreiben müssen, einfach?).


Der misstrauische Glaube, von jemandem manipuliert zu werden, scheint uns von allen Seiten zu bedrängen und zur normalen Interpretation unserer selbst zu werden, ja das Menschenbild, welches die Neurobiologie von uns zeichnet, ist geradezu eine Entmachtung durch den eigentlichen Akteur „Gehirn“ – es zieht die Fäden unserer Marionettenglieder. Laut Rimbaud wäre es treffender zu sagen „Ich werde gedacht“ als „Ich denke“. Aus diesem Selbstverständnis heraus hat der französische Dichter ein poetisches Programm entwickelt: „Der Dichter macht sich zum Seher durch eine dauernde, umfassende und planvolle Verwirrung aller Sinne“ und kommt dadurch im Unbekannten an. Diese planvolle Verwirrung findet sich auch bei den Dadaisten und Surrealisten wieder, die Techniken entwickelt haben, um diesem Es, das uns denkt, zum Ausdruck zu verhelfen. Destruktion von Sinn und absichtliche Herstellung von Zufall und Willkür sollen die starren Strukturen unseres Verstandes aufbrechen. Das Cut-up-Verfahren, entwickelt von William S. Burroughs, bekennender Paranoiker und Dichter der Beat Generation, verfolgt eine ähnliche Strategie: Texte werden zerschnitten und ohngeachtet des Inhalts wieder zusammengesetzt – somit entstehen unbeabsichtigt neue Sinnzusammenhänge, die von dem Leser, der die Risse in seinem Kopf assoziativ verkleistert, hergestellt werden. So kann der Ausspruch Burroughs‘ „Smash the control images. Smash the control machine.“ sowohl auf unseren eigenen Kontrollwahn als auch auf die Manipulation durch Verschwörer bezogen werden. 

Möglicherweise haben wir schon immer Verschwörungen hinter den Fassaden gesucht, und mit Sicherheit waren wir öfters der unsichtbaren Hand der Herrschenden willenlos ausgeliefert. Im digitalen Zeitalter aber werden die Quellen unseres Wissens zahlreicher und ihre Beurteilung umso schwieriger. Es scheint so, dass Fakten in immer beliebigere Zusammenhänge gebracht werden können und die persönliche Meinung zum Maßstab unserer Urteilskraft degeneriert. Anderen Meinungen wird mit Unverständnis begegnet und dem Fremden wird grundsätzlich misstraut.


Angesichts digitaler Überwachungstechniken, suggestiver Werbestrategien oder der Vernetzung radikal anders Denkender erscheint die Paranoia bald als einziges Heilmittel, um der Wahrheit auf den Grund gehen zu können und es stellt sich die Frage: Wo hört der Wahn auf und wo fängt berechtigtes Misstrauen an? Denn schließlich gilt immer noch die Goldene Regel der Verschwörungstheoretiker: 

Bloß weil du nicht paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.


[1]Man beachte die etymologische Verwandtschaft zwischen dem englischen Wort „answer“ und dem Wort „verschwören“, ursprünglich eine Verstärkung von „schwören“, aus dem mittelhochdeutschen „swern“ entstanden – eine Verschwörung als Antwort also auf sonst nicht erklärbare Dinge? Die Überprüfung des Zusammenhangs sowie die Schlussfolgerungen bleiben dem Leser überlassen. 


Die Ausstellung I SHOW YOUR MIND – Eine Ausstellung in Paranoia fand vom 9. Dezember 2016 bis zum 6. Januar 2017 im Hole of Fame, Dresden statt. Beteiligte Künstler*innen waren Marlen Ohle, Elisa Schumann, Eric Vogel, Alwin Weber, Martin Zerrenner, Oliver Zorn und Stephan Zwerenz.


Rahmenprogramm:


9. 12. Vernissage
I show your Mind
20 Uhr

14.12. Aller Ordnung
Performance von Heidi Morgenstern
19 Uhr

20.12. Entschwörungstheorie
Vortrag von Daniel Kulla
20 Uhr

21.12. Smash the control machine 
Szenisch-experimentelle Lesung 
20 Uhr

22.12. Fight [the] Club. Reflexive Paranoia im Film
Vortrag von Dr. Ulrich Fröschle
20 Uhr

6. 1. Finissage
mit Mental-Klo für die geistige Entleerung 
20 Uhr 






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