Beim Präparator

Beim Präparator

Wir betraten sein Atelier, das überraschend ranzig war. Überall klebten Haare an den Wänden und auf dem schmierigen Boden. Es roch nach kaltem Rauch, abgestandenem Bier und faulenden Kadavern, die er sich tatsächlich per Post hatte zuschicken lassen. Die hohen Wände waren mit einfachen Sperrholzplatten verkleidet, an denen die vielen, vielen Dutzend Präparate aufgehängt waren. Tierköpfe mit Glasaugen und unzähligen Nadeln im Gesicht, um die Haut am künstlich nachgebildeten Schädel zu fixieren.

Alle Fotos von Philipp Baumgarten.

Es gab aber auch Ganzkörperpräparate. Tote Tiere in obskuren Posen. Tote Tiere, die so taten als wären sie noch lebendig. Eingefroren in ihrer Bewegung, versteinert in einem Moment ihres Lebens, der nie existierte. Simulierte Lebendigkeit. Vom Fleisch abgezogene Felle waren nun wieder zusammengenäht und mit Stroh ausgestopft. 

Er erzählte uns, er sei gelernter Tierpräparator, verdiene aber heutzutage kein Geld mehr damit. Deswegen hat er auch zum Pathologen umgelernt. Morgens schnitt er an Menschen herum, abends aber widmete er sich seinem Hobby: Tiere ausstopfen und sie für die Ewigkeit konservieren.  
  
 

Ist auch kein großer Unterschied, sagt er. Nur das Arbeitsumfeld sei ein anderes. Keine Menschenköpfe an den Wänden. Keine nackten, tanzenden Leichen auf den Fluren der Pathologie. Kein rostiger Seziertisch mit verkrustetem Blut überzogen und Maden, die sich darauf herumwinden. Nur saubere, sterile Räume. Ein geregeltes Leben und Monotonie. 

Er zeigte uns seine Werkzeuge. Unter anderem eine spezielle Waschmaschine, in die er die abgezogenen Felle steckte und sie mit ausgewählten Chemikalien behandelte, um sie von Fett und Parasiten zu befreien. Daneben steht ein Gerät, das so aussieht wie eine dieser elektrischen Schuhbürsten, die immer in Hotels rumstehen. Diese hier ist aber mit einer Drahtbürste versehen, um das Fleisch von den Knochen zu fegen. Ringsherum kleben deshalb auch getrocknete Fleisch- und Fettreste, die wie Kerzenwachs an der Apparatur heruntergetropft sind. 


Er zeigte uns, wie er Abdrücke von Schädeln macht, die dann in das Präparat eingesetzt werden. Er sagt uns, es gäbe auch schon fertige Schädel aus Kunststoff, die man sich im Internet bestellen kann. Dann zeigte er uns einen Katalog für Augen – Augen in allen erdenklichen Formen und Farben, Augen über Augen, die man später in die Kunststoffschädel einsetzen kann. 

Er erzählt uns von Menschen, die es nicht fertigbrachten sich von den geliebten Haustieren zu trennen, die ihre Freunde waren und die sie nun als fleischlose Hüllen in ihre Wohnungen stellten. Er erzählte uns von diesem schwulen Pärchen, das ihren Hund ausstopfen ließ und dann nicht abholte. Er erzählte uns auch von dieser Rentnerin, die einen toten Wellensittich auf der Straße fand und der nach einigen Wochen schon ganz matschig war. Sie trug ihn immer bei sich, weil er so schön weich war. Sie streichelte ihn sehr gerne, doch als sie bemerkte, dass er schon langsam von innen zu verfaulen begann, wollte sie ihn präparieren lassen. Doch es war schon zu spät. Der Verwesungsprozess war schon zu weit fortgeschritten. 


Ich ging auf die Toilette, die so ranzig war wie der Rest des Hauses. Die Scheiben waren so schmutzig, dass kaum Sonnenlicht eindringen konnte. Der Fußboden war über und über mit Salz bedeckt. Grobkörnig, matt glänzend und verklebt. Er hatte die Tiere hier ausgenommen und liegen lassen. Der Gestank war bestialisch. Neben dem Klo stand eine große Mülltonne. Beim Pissen war ich die ganze Zeit versucht einen Blick hineinzuwerfen. Es juckte mir regelrecht in den Fingern. Ich betätigte also die Spülung und öffnete die Mülltonne, was ich lieber nicht hätte tun sollen. Denn mir kam schlagartig das Kotzen. Sie war bis zum Rand mit Innereien, Fett und ausgeschabten Fleisch gefüllt. Sie musste schon wochenlang bei spätsommerlichen Temperaturen so vor sich hingemodert haben. Der Gestank hing mir noch Stunden später in der Nase.




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