Die Stadt mit den zwei Gesichtern

Die Stadt mit den zwei Gesichtern
Über Peter Richters Buch »Dresden Revisited: Von einer Heimat, die einen nicht fortlässt«

Obwohl Peter Richter schon seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr in Dresden lebt, wird er in jüngster Vergangenheit immer wieder mit seiner alten Heimatstadt konfrontiert. Sei es durch seine Arbeit, die Medien oder durch alltägliche Begegnungen. Immer wieder kommt er mit Dresden negativ in Kontakt und wird dabei nicht selten in eine Position der Rechtfertigung gestellt. Infolge seiner Einladung zu den »Dresdner Reden« 2016 am Schauspielhaus kam es, dass der Autor von »89/90« nun sein zweites Buch über Dresden geschrieben hat.


Das überschaubare Essay »Dresden Revisited« ist eine scharfsinnige und vielseitige Analyse über die aktuelle Lage einer Stadt, die es leider nur noch durch Negativschlagzeilen in die Medien schafft. Seit 2012 lebt und arbeitet Richter als Kulturkorrespondent in New York und kann deshalb sehr gut beobachten, wie Dresden auch aus dem Ausland heraus wahrgenommen wird. An der Stadtgeschichte entlanghangelnd eröffnet er dem Leser, dass Dresden schon seit den Zeiten E.T.A. Hoffmanns in sich gespalten ist: »Wo immer man in die Geschichte hineinliest, bestätigt sich eigentlich, was schon der Augenschein lehrt, wenn man dort entweder mit Herzlichkeit oder mit barscher Ablehnung geradezu überschüttet wird: Es gibt eine Tradition der Engherzigkeit und eine Sehnsucht nach Harmonie, die beide auf Ortsfremde, wie ich gemerkt habe, extrem wirken können.«

Die Stadt mit den zwei Gesichtern wird für ihn bald zum Sinnbild einer ganzen Nation, denn gerne wird Dresden als Geburtshelfer für Fremdenfeindlichkeit dargestellt. Letztlich kann man es aber genauso gut nur als den Vorboten für bereits gegenwärtige Stimmungen in der Bundesrepublik ansehen.

Richter verzichtet bei seiner deskriptiven und subjektiven Analyse auf vorschnelle Vorverurteilungen, wozu seine geografische Distanz vielleicht einladen würde. Die eigene Kultur erscheint aber meist aus der Sichtweise des Fremden heraus klarer, als sie aus der eigenen Mitte erfahrbar ist – und wahrscheinlich gerade weil er eine gesunde Distanz zu Dresden erlangt hat, ist er zu dieser nüchternen und sachlichen Analyse fähig.

Verständlich, dass sich viele Dresdner davon auf den Schlips getreten fühlen. Die lautesten Stimmen aus dem Netz gehören wutschnaubenden Lokalpatrioten, die eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Identität nicht aushalten. Den Kritikern zum Trotz ist das Essay doch recht herzlich geschrieben.


Peter Richter, Dresden Revisited, Luchterhand 2016, 160 Seiten, 18 Euro.

(Der Artikel erschien bereits im Dresdner Kulturmagazin.)


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