Umverteilung statt Wegwerfgesellschaft

Umverteilung statt Wegwerfgesellschaft
Das Nytt-Materialdepot

In einer alten Lagerhalle in Pieschen sammeln David Richter und Bruno Grotsch seit 2016 Theaterrequisiten und Baumaterialien, um sie an Kreative weiterzuvermitteln. Sie fungieren damit als wichtige Schnittstelle zwischen institutionell geförderten Einrichtungen und der Freien Szene. Theoretisch aber können alle Interessierten ganz unkompliziert bei ihnen anrufen, um mal einen Blick über die Sachen zu werfen. Ich habe mich mit ihnen getroffen, auch um zu erfahren, was hinter den Kulissen der Theaterhäuser passiert.

 
Wie ist es zu der Idee einer Materialvermittlung gekommen? 

Bruno: Ich arbeite seit etwa vier Jahren im Schauspielhaus und da bekam ich sehr schnell mit, wie die Abläufe dort sind. Wenn du eine Produktion hast, wird sehr viel Zeug produziert. Von einer Holzlatte, die dort verarbeitet wird, über Plastiken bis hin zum fertigen Bühnenbild. Und wenn das Stück dann abgespielt ist, dann wird auch das Bühnenbild entsorgt oder es wird auf unbestimmte Zeit eingelagert. Das Problem dabei ist, dass die ganzen Fundi eigentlich ständig überfüllt sind. Es wird also ziemlich viel weggeworfen, ziemlich viel auch was eigentlich noch sehr gut ist und noch verwendet werden könnte. Wenn du dann siehst, wie die ganzen Container raus gerollt werden, kommt dir recht schnell der Gedanke, dass man doch noch sehr viel damit machen könnte.  

Und dann reifte dieser Gedanke, dass auf der einen Seite so viel weggeworfen wird und dass es auf der anderen Seite auch Freunde von uns gab, die kreativ arbeiteten und das Zeug ganz gut gebrauchen könnten. Zudem ist ja auch einfach schade, die ganzen Sachen einfach wegzuwerfen. Vor allem wenn man sieht, was die in den Theaterwerkstätten zusammenzaubern. Das ist enorm. Ich habe dann im Internet recherchiert und hab in Hamburg die HMV gefunden, die Hanseatische Materialverwaltung. Und die hatten sich zu der Zeit, in der uns der Gedanke kam, gerade erst gegründet. Ich hatte dann ein Gastspiel in Hamburg und bin dann vorbeigefahren. Und bis heute helfen und unterstützen sie uns.

 
Wie seid ihr zu eurem Raum gekommen? 

David: Wir hatten im Alberthafen angefangen. Ein Raum im vierten Stock auf 70 m². Wir mussten dann raus. Und hier sind wir durch Zufall vorbeigekommen. Ein Schild stand draußen und wir haben angerufen und Glück gehabt. Der Besitzer ist wohl ziemlich froh, dass hier überhaupt jemand drin ist. Der fand unsere Idee gleich gut, ist mit uns über das Gelände gelaufen, hat uns die Schlüssel gegeben und gesagt: »Sucht euch was aus.« 

Bruno: Es gab aber auch vorher schon das Problem, dass wir viel zu wenig Platz hatten. Und es gab schon die Idee, einen Proberaum zu haben, eine Werkstatt und möglichst wollten wir das alles miteinander verbinden. Da war natürlich klar, dass wir uns eine Miete von 5 Euro den Quadratmeter nicht leisten könnten. Wir haben auch ziemlich viele Absagen bekommen, auch viele Ausreden.  

Was hat es mit dem Namen »Nytt« auf sich? 

Bruno: Die Idee war entweder einen Namen zu finden, der selbsterklärend ist oder wir nehmen einen Eigennamen, den man erklären muss. Es ist dann zweiteres geworden. »Nytt« hab ich durch Zufall im Netz gefunden. Es ist altenglisch für »nützlich«. Und wir dachten, das passt.  

Wie sicher ist es, dass ihr hier bleiben könnt? 

David: Die Mietverträge laufen immer nur für ein halbes Jahr. Es könnte also passieren, dass wir hier jederzeit wieder rausfliegen. Das ist schon schwer auf so einer Basis aufzubauen. Dass hier was passiert, steht schon relativ fest. In naher Zukunft wird hier sicher alles platt gemacht. Ein Fünf-Jahres-Vertrag wäre Gold wert.  

 

Wie geht ihr bei eurer Arbeit vor? 

Bruno: Dadurch dass ich im Schauspielhaus arbeite, hab ich einfach in den Theatern angefragt, was die von der Idee halten. Die Initialzündung gab es dann, als ich eine Absage vom Hygiene-Museum bekommen habe, die dachten, ich würde einfach gerne viel Zeug hamstern. So hab ich sie jedenfalls verstanden. Ich hab dann begriffen, dass viele Leute glauben würden, man wolle seine 200-Quadratmeter-Wohnung einfach gerne mit Pappmaschéfelsen zustellen. Aber darum geht es uns natürlich nicht. Uns geht es ja darum, dass wir die Sachen vorm Schrott retten wollen, um sie anderen weiterzugeben. Ein großer Teil der Arbeit ist es also, überhaupt erstmal ein Bewusstsein für diesen Gedanken zu schaffen und sie davon zu überzeugen, dass es Sinn macht, was wir tun.  

Welche Häuser sprecht ihr da an? 

Bruno: Das sind eigentlich alle gängigen Theaterhäuser der Stadt. Wir haben aber keine Lieferanten oder so was. Es gibt nämlich auch noch ein paar grundlegenden Probleme bei der Weitervermittlung und Weiterverwertung von Gegenständen in rechtlicher Sache. Es geht dabei vor allem um Urheberrecht und Produkthaftung. Du hast zum Beispiel ein Podest, das ist mal für 20 Leute gebaut worden und so ist es auch zugelassen worden. Jetzt vermietest du es aber weiter und es gehen 30 Leute drauf, das Ding kippt um und es tut sich jemand weh. Was ist dann? Da greift die Produkthaftung, das heißt, dass der Tischler, der das Podest gebaut hat, nun dafür haftet. 

David: Viele werfen dann ihre Requisiten lieber weg, statt sie abzugeben. Obwohl sie ja eigentlich froh sein müssten, dass es nochmal in einer anderen Produktion auftaucht. 

Bruno: Ja, und die Leuten, die Bühnenbilder selbst entwickeln, sind meistens auch sehr aufgeschlossen für die Idee, dass ihre Sachen weiterverwendet werden. 

David: Mittlerweile werden wir auch immer öfter angerufen, ob wir das ein oder andere Stück noch haben wollen.  


Also haben die Theater selber schon Interesse daran gefunden? 

David: Es sind nicht unbedingt die Theater selbst. Meistens stammen die Sachen, die wir haben, von kleinere Produktionen und Gruppen, die ihren Lagerbestand aufräumen und Platz schaffen müssen. Und da dürfen wir dann mal drübergucken. Da ist der Draht einfach kürzer.  

Was habt ihr für Kunden? 

David: Einige Handwerker sind dabei, kleinere Theatergruppen und Crews, die Partys organisieren. Das sind unsere häufigsten Kunden. Da könnte aber auch noch mehr sein. Die Sachen anzuhäufen ist die eine Sache, aber wirklich spannend wird es ja erst, wenn die Sachen auch benutzt werden.

Wonach richten sich die Preise bei euch?

David: Der Grundsatz ist: Wer wenig hat, kann auch nur wenig geben. Der Preis richtet sich aber auch nach dem Verwendungszweck und der kommerziellen Absicht. Also wenn Dr. Oetker einen Werbespot für ihren neuen Keks machen will und Kochlöffel braucht, dann werden sie auf jeden Fall mehr bezahlen, als der, der auf einem Stadtteilfest seinen Limo-Stand betreiben will. Uns geht es aber gar nicht darum, Geld verdienen, vielmehr um den Gedanken der Umverteilung. Also darum, dass viele Leute einen Nutzen von dem haben können, was nun einmal da ist.  

Weitere Informationen unter www.nytt-materialdepot.de

Ein ähnliches Projekt startet zur Zeit übrigens auch der Konglomerat e.V.:
www.konglomerat.org/werkbereiche/materialvermittlung.html 


(Das Interview ist für das Dresdner Kulturmagazin entstanden.)


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