’Oumuamua

’Oumuamua
Ausstellung von Julius Georgi

»Die sichtbaren Dinge bilden die Grundlage der Erkenntnis des Unsichtbaren.« 
Anaxagoras

Aus der unergründbaren Tiefe des Kosmos dringt plötzlich ein taumelnder Körper in die Wahrnehmung der Menschheit ein. Der rötliche Brocken von etwa einem halben Kilometer Länge wird im Oktober 2017 von dem Teleskop »Pan-Starrs« auf Hawaii erfasst, nachdem er in einer von der Anziehungskraft der Sonne gebogenen Bahn an der Erde vorbeigeflogen ist. Das Objekt wird mit der Bezeichnung »CK17U010« registriert, später wird es in »’Oumuamua« umbenannt: »Botschafter aus der Vergangenheit«.
 
Alle Bilder stammen von Julius Georgi.

Obwohl kein Mensch weiß, wie der Komet wirklich aussieht, kursieren bereits wenige Tage später Bilder von ihm im Netz. Visualisierungen eines Unsichtbaren, eines tanzenden Sterns, der sich im Moment seiner Erfassung bereits in einer Entfernung von über 36 Millionen Kilometern zur Erde befindet und sich in rasender Geschwindigkeit wieder von ihr entfernt. 

Die Tatsache, dass dieser Himmelskörper nicht aus dem Inneren unseres Sonnensystems stammt und dass die Wissenschaftler keine zuverlässigen Aussagen über sein Aussehen treffen können, genügte gleichsam Wissenschaftlern, wie Ufologen und Verschwörungstheoretikern als Anlass fantastische Bilder künstlich zu erzeugen und krude Theorien zu ersinnen, die meistens mit dem Besuch von Aliens zu tun hatten. Letztlich ist aber das Herumfliegen von interstellaren Objekten schon beinahe etwas Banales und Alltägliches, was wir jedoch erst mit Hilfe von modernen Teleskopen wahrnehmen können. Das plötzliche Auftauchen dieses unerhört Fremden ist also Grund genug für Spekulationen, die sich an der Grenze von Angst und Hoffnung bewegen und vor allem eines gemeinsam haben: die Faszination für das Unbekannte. 


»Wie kann man sich auf die Unwissenheit einlassen?«, fragt Julius Georgi, der auch in seiner Malerei dieser Frage nachgeht. Unser Bild von der Wirklichkeit speise sich schließlich aus der Fantasie eines jeden Betrachters, der durch sein unbewusstes Hinzutun die Welt in jedem Moment neu zusammensetzt. Georgi zeigt Geheimnisse auf, ohne den Versuch anzustellen diese aufzulösen. Er bewahrt das erhebende Gefühl des Unergründlichen in seinen Bildern und lenkt den Blick des Betrachters, ähnlich dem Teleskop »Pan-Starrs«, zunächst auf etwas ganz Alltägliches und gibt ihm durch seine Bildkomposition wieder seine Mystik und Erhabenheit zurück. 

 

Eine Wolkendecke, die zugleich auch ein Ozean sein könnte, wird hier zum Sinnbild des Fantastischen und Unbekannten. Sie selbst ist Oberfläche, Schleier der Maya und über die Wahrheit des Kosmos gelegt. Sie bildet die Grenze des für uns Wahrnehmbaren, doch unter ihr schlummert ein Universum von Möglichkeiten, das Vorstellungen heraufbeschwört und Ungeheuer erschafft oder eben Hoffnungen weckt. Je nach Art der Betrachtung verändert sich das Bild, das bei Georgi fast ausschließlich etwas Unsichtbares in den Fokus stellt und dementsprechend den Betrachter über die Grenzen seiner Sinne erhebt und damit letztlich über seine eigene Natur.

 

Zwei sich kreuzende Fahrradspeichen bergen in ihrem Schnittpunkt ein undefinierbar Anderes, das dem menschlichen Erfahrungshorizont unbegreiflich fremd bleibt. Selbst bei näherer Betrachtung ist dieser Fremdkörper rational nicht zu fassen. Er bewahrt sich in seiner Erscheinung seinen mystischen Charakter, wirft Fragen auf und erzeugt gleichzeitig ein Gefühl der Beklemmung wie der Faszination.


Das Auftauchen amorpher und fließender Figuren in surreal wirkenden Landschaften erzeugt zudem den Eindruck, dass der Künstler auch die eigenen Erfahrungshorizonte überwinden will. Als Besucher seiner Seelenlandschaften sind Georgis Gemälde auch immer als Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst zu verstehen. In den Tiefen des Ichs begegnen ihm Traumbilder, deren Herkunft schleierhaft bleiben, erzeugt von einem Unbekannten, der in ihm schlummert und seine Wahrnehmung zur Grundlage seiner Schöpfungen nimmt. Die Selbsterkenntnis wird somit auch zu einem Fremden, das durch ein Teleskop betrachtet Raum für Spekulationen lässt. Das Ich wird selbst zu einem Botschafter aus der Vergangenheit. 


Julius Georgi
OUMUAMUA
10.03. - 27.04.2019
Vernissage: 09.03.2019 | 19 Uhr
Einführung: Oliver Kratz, Galerie Antonstadt
Musik: ronsoO 



(Diesen Text habe ich für Julius Georgi geschrieben. Er kommt in abgeänderter Form auch im Ausstellungskatalog »’Oumuamua« der Galerie Antonstadt vor.)



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