Selbstbewusster mit Inklusion umgehen

Selbstbewusster mit Inklusion umgehen
Neue Herausforderungen für die Filmbranche

Mehr Vertrauen, mehr Verständnis und mehr Unterstützung wünschen sich viele Menschen mit Behinderung von der Gesellschaft. Auch wenn das Thema Inklusion in den Medien Einzug hält, scheint die gelebte Gleichberechtigung weit entfernt. Auch für die Film- und Medienbranche ergeben sich neue Herausforderungen, um den Betroffenen gleiche Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe zu ebnen.

Mit „Selbstbestimmt!“ hat der MDR eine Programm geschaffen, das ihre Vorreiterrolle im Bereich Inklusion unterstreicht. Hier die beiden Moderatoren Jennifer Sonntag und Martin Fromme am 19.09.2011 im Landesfunkhaus in Leipzig. Foto: MDR/Andreas Lander

Ungleiche Verhältnisse fangen bei fehlenden Ausbildungs- und Studienangeboten an, gehen über klischeebeladene Darstellungen von Behinderten im Film und fehlende Einbindung in Filmproduktionen vor und hinter der Kamera – sei es am Set oder in der Postproduktion – und führen sich meist in der Aufführungs- und Rezeptionspraxis fort. Viele haben schon von barrierefreien Kinos und Filmen, von Audiodeskription und Gebärdendolmetschern gehört, die nötigen Maßnahmen und Angebote bleiben aber oft die Ausnahme und sind noch lange nicht Standard. Dabei sollte man sich auch vor Augen führen, dass es sich dabei um eine nicht unerhebliche Personengruppe handelt. In Sachsen leben zurzeit etwa 733 000 Menschen mit Behinderung (Tendenz steigend). Davon haben über 400 000 eine schwere Behinderung, also einen Behinderungsgrad von über 50 Prozent. Die Arten der Behinderungen können vielfältiger Natur sein, werden aber gerne in die Kategorien der körperlichen, geistigen, psychischen und kognitiven, sowie der sprachlichen Behinderungen eingeteilt. Die mit Abstand häufigste Ursache für Behinderungen sind Krankheiten (etwa 90 Prozent).

Selbst wenn genaue Zahlen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in der sächsischen Film- und Medienbranche nicht existieren, gilt es eher als Seltenheit, dass sie etwa an Filmproduktionen beteiligt sind oder in Fernseh-, Kino- und Medienräten wichtige Positionen innehaben. Die Ursachen dafür sind vielfältiger und struktureller Natur, haben aber tatsächlich nur teilweise etwas mit der Behinderung selbst zu tun. Meistens sind es vor allem gesellschaftliche Barrieren, die überwunden werden müssen. Es ist also ein Umdenken nötig, um Gleichberechtigung herzustellen, welches gerade durch die audio-visuellen Medien maßgeblich mitbeeinflusst werden könnte.

Der deutsch-amerikanische Dichter Paul-Henri Campbell hat für den vorurteilsbeladenen Umgang mit Behinderten den Begriff der „Salutonormativität“ geprägt. Das ist die Vorstellung, dass der Normalzustand des Menschen die körperliche und psychische Gesundheit darstelle, weshalb Kranke systematisch ausgeschlossen würden. Gesundheit und Wohlbefinden seien jedoch vielmehr die Ausnahme. Deshalb nehmen viele Betroffenen ihre Behinderung auch gar nicht als Defizit wahr, sondern sehen sie vielmehr als individuelle Besonderheit.

Auch die Vorstellung, dass Menschen mit Behinderung nicht so viel leisten können wie andere Menschen, entspringt diesem unbewussten Vorurteil. Selbst bei den sogenannten „gesunden“ Menschen gibt es immer solche, die eine Tätigkeit besser oder schlechter machen als andere. Leistungsunterschiede entstehen oftmals aus einer gesellschaftlichen Lebenswelt, die auf den Durchschnittsmenschen zugeschnitten, aber variabel ist. Auch aus der Definition des Wortes „Behinderung“ geht dies hervor. Gemeint ist nämlich nicht, dass ein Mensch behindert ist, sondern dass er von seiner Umgebung behindert wird.

„Was können Behinderte denn nicht? Die können doch alles, was andere Menschen auch können. Manchmal eben nur ein bisschen langsamer“, sagt auch die inklusive Schauspielerin Melanie Socher, die bei dem Film „All inclusive“ von Eike Bedusen mitgespielt hat. Der hat nicht nur einen inklusiven Film gemacht mit behinderten Mitarbeitern vor und hinter der Kamera, sondern gleich noch einen Film über den Film mit dem Titel „Weserlust Hotel“. Mit beiden Filmen waren sie gerade zusammen mit dem Schauspieler Kevin Alamsyah auf Tour. Im Podiumsgespräch in der Dresdner Schauburg verriet Bedusen, wie schwierig die Produktionsbedingungen waren, was aber weniger auf die Schauspieler zurückzuführen war: „Natürlich geht es manchmal auch etwas langsamer vor sich, aber nicht grundsätzlich langsamer als mit manch anderen Schauspielern. Spätestens nach drei Tagen wurden alle Grenzen so weit verwischt, dass eine Beeinträchtigung keine Rolle mehr gespielt hat. Jeder Mensch ist halt ein bisschen anders.“

Behindert wurden sie eher durch fehlendes Interesse von Förderern und Fernsehsendern. Die Finanzierung der Low-Budget-Produktion war sehr schwierig, wie Bedusen erzählt. Die „Aktion Mensch“ war neben privaten Förderern der Hauptgeldgeber. „Alle Fernsehsender haben uns großes Lob ausgesprochen, aber alle haben bisher gesagt: ‚Wir wissen nicht so richtig, wie wir das in unserem Programm unterbringen sollen oder ob es bei unserem Publikum gut ankommt.‘ Deshalb wissen wir gerade nicht, wie es weitergehen soll.“ Erste Anlaufstelle waren natürlich die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die aber stets um ihre Quoten bangen würden. Der NDR hätte sich schon dazu bereit erklärt, den Film, der als Pilotfolge für eine Serie geplant war, zu zeigen, dann aber den Sendetermin immer wieder herausgezögert. Letztlich wurde eine gekürzte Fassung am Tag der Inklusion um 24 Uhr ausgestrahlt.

Trotz aller Schwierigkeiten scheint die Film- und Medienbranche viel sensibler gegenüber dem Thema Inklusion geworden zu sein. Vor allem in das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender werden Menschen mit Behinderung gleichberechtigt inkludiert. Prominente Beispiele sind etwa die Anwaltsserie „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ in der ARD, in der eine blinde Anwältin die Hauptrolle spielt, auch wenn die Schauspielerin Lisa Martinek nur so tut, als könnte sie nichts sehen. Der Tatort Münster geht da schon einen Schritt weiter und stellt dem Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) die kleinwüchsige Mitarbeiterin Silke Haller (Christine Urspruch) zur Seite. Urspruch spielt auch die Hauptrolle in der ZDF-Arztserie „Dr. Klein“. Die Schauspielerin, die sich selbst nicht als behindert bezeichnet, ist vor allem durch ihre Rolle als „Das Sams“ bekannt geworden.

Der MDR hat mit seiner Sendereihe „Selbstbestimmt!“ ein Magazin geschaffen, das sich rund um das Thema Behinderung dreht. Zunächst vor allem im Studio produziert, wird die Sendung seit drei Jahren meist an Orten gedreht, wo Inklusion gelebt wird. Moderiert wird die Sendung in erster Linie von Martin Fromme, der auch als der Stand-up-Comedian mit dem „appen“ Arm auftritt, wie er sich selbst ausdrückt. In seinen Programmen geht er humoristisch mit seiner Behinderung um und zeigt letztlich, wie „normal“ sein Leben ist. An seiner Seite steht die spät erblindete Moderatorin Jennifer Sonntag, die in der Sendung zunächst das Talkformat „Sonntagsfragen“ führte, das nun leicht modifiziert in „Mit anderen Augen“ umbenannt wurde. Hier interviewt sie nicht mehr wie zuvor vorrangig Prominente, sondern führt Gespräche mit Menschen mit und ohne Behinderung über allgemeine Lebensthemen. „Selbstbestimmt!“ zeigt auch, was die Film- und Medienbranche für ihr „Umdenken“ vor allem braucht: selbstbewusste Menschen mit Behinderung in den Medien.

(Dieser Artikel ist für das Fachblatt AUSLÖSER vom Filmverband Sachsen e.V. entstanden.)

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