ALLES JETZT! ZWISCHEN AUFBRUCH UND UMBRUCH

Alles Jetzt! Zwischen Aufbruch und Umbruch
Künstlerische Perspektiven aus Dresden zwischen 1945 und 1989
Text und Kuration: Constanze Fanger & Stephan Zwerenz
6. April – 11. Mai 2019



»Die« Kunst der DDR gibt es nicht. Kunstpolitische Debatten, wie sie in der Nachwendezeit im sogenannten »Bilderstreit« geführt wurden, waren meist polarisierend. Auf der einen Seite standen systemkonforme, auf der anderen Seite oppositionelle Künstler*innen. Die Realität war aber bei Weitem nicht so einfach.

Der
»Sozialistische Realismus« sollte als von oben gelenkte, ideologisch aufgeladene Stilrichtung des Ostblocks das Bild einer zukünftigen Idealgesellschaft zeichnen – ein Bild, das nur schwerlich mit den Zuständen im Realsozialismus in Einklang zu bringen war. Die Ausstellung »Alles Jetzt! Zwischen Aufbruch und Umbruch« will dagegen den Facettenreichtum des künstlerischen Schaffens dieser Zeit jenseits der offiziellen Vorgaben am Beispiel Dresdens exemplarisch aufzeigen.

Entwürfe der Produktionsgenossenschaft
»Kunst am Bau«, die zukunftsutopische Friedens- oder Arbeitermotive und moderne konstruktivistische Elemente vereinten, und die Samisdat-Hefte des Leitwolfverlags, welche in Kneipen entstandene Zeichnungen und Texte enthalten, sind nur zwei Beispiele dieser Vielfalt. In der Ausstellung zeugen darüber hinaus abstrakte Druckgrafiken, Assemblagen und Experimentalfilme aus Dresden von einer selbstständigen und unabhängigen Kunstproduktion jenseits, aber auch diesseits der sozialistischen Ideen.

Die künstlerisch-dokumentarische Ausstellung wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm aus Lesungen, Konzerten, Filmvorführungen und einem Live-Hörspiel, sowie Vorträgen, Gesprächen und einem Stadtrundgang begleitet.



Rahmenprogramm


6. April 2019, 19:00
Zwischen Aufbruch und Umbruch
Künstlerische Perspektiven aus Dresden zwischen 1945 und 1989
Vernissage
Eröffnung der Ausstellung

10. April 2019, 20:30
Sonars (UK / IT)
Konzert, Elektro-Psych
präsentiert von Shipwreck Shows und misch masch sounds

14. April 2019, 18:00
Super 8 in Dresden. Experimentalfilme aus den 70er und 80er Jahren
Filmvorführung und Vortrag von Claus Löser

17. April 2019, 20:30
Antez (F)
Soundperformance
schamanistisch-akustische Erkundung

18. April 2019, 20:00
Luftschiffhalde + Flash + Hymnus an die verzögerte Zeit
Lesung mit Gregor Kunz, Jayne-Ann Igel und Andreas Paul

26. April 2019, 20:00
Überall Künstler. Nirgendwo Kunst
Vortrag von Else Gabriel

27. April 2019, 20:00
Abend für experimentelle Worte und Klänge
Lesung mit Undine Materni und Michael Meinicke
Konzert mit Thomas Schönfeld, Alwin Weber & Max Wutzler

30. April 2019, 20:00
Günter »Baby« Sommer (D)
Konzert und Gespräch über künstlerische Arbeit in der DDR

4. Mai 2019, 15:00
Erinnerungen an Morgen – der Altmarkt zwischen Nationaler Tradition und Moderne
Stadtrundgang mit Antje Kirsch; Treffpunkt: Kulturpalast

4. Mai 2019, 20:00
Letztes Jahr Titanic
Filmvorführung und Gespräch mit dem Regisseur Andreas Voigt

8. Mai 2019, 20:00

Woher komme ich? Wohin gehe ich? 10 Minuten deines Lebens
Szenisches Hörspiel von redlifedeadline

11. Mai 2019, 20:00
Zwischen Aufbruch und Umbruch
Finissage
Konzert mit Morty Sanchez (D) und Kowski (D)
Singer-Songwrite

 

Ausstellungsreihe ALLES JETZT!


»Denken heißt Überschreiten«
(Ernst Bloch)

Ideologien jedoch versuchen, dies zu verhindern und ihr vorgeblich zeitloses und notwendiges System zu bewahren. Neue Entwürfe und Ideen überschreiten diese Systeme und stellen deren Gegebenheit infrage. Daraus entstehen oftmals Utopien, welche naturgemäß einen Sog auf das Denken ausüben. Wie lassen sich neuerliche Ideologiebildungen und Dystopien verhindern, ohne die Fantasie in womöglich dogmatische Schranken zu verweisen?

Das Projekt »Alles Jetzt! – Time, Space and its Contents« widmet sich in drei Ausstellungsblöcken und einem umfangreichen Rahmenprogramm den Ideen und Ideologien der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ausgehend von der Verortung des Hole of Fame konzentrieren wir uns dabei vor allem auf Dresden, Sachsen und Ost-Deutschland.

Ein Übersichtsplan und das Werkverzeichnis befinden sich am Ende der Seite.

Gefördert durch den Fonds Neue Länder der Kulturstiftung des Bundes, die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und das Amt für Kultur und Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.

Besonderer Dank gilt der Freien Akademie Kunst + Bau (Antje Kirsch und Janina Kracht), der Städtischen Galerie Dresden (Kristin Gäbler), der Galerie Mitte (Karin Weber), Matthias Jackisch, dem Lapidarium Dresden (Gerd Pfitzner) und Ex.Oriente.Lux (Claus Löser). 

Dieses und alle nachfolgenden Fotos stammen von Carsten Beier.

„Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“, beginnt das Lied von Johannes R. Becher und Hanns Eisler, das später die Nationalhymne der DDR werden sollte. In ihm wird bereits der Mythos formuliert, der den neuen Staat fortan prägen wird.

Trümmerlandschaften bestimmten das Bild einer Gesellschaft, die zwischen dem Bewusstsein der Mitschuld an der Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus und einer unterdrückten Trauer um ihre Kriegsopfer lebte. Elendsgestalten, Kriegskrüppel und Verrückte sind häufige Bildmotive in der Zeit nach 1945. Seit der Gründung der DDR unter Sowjetischer Besatzung (1949) wurden diese Darstellungen nach und nach verboten. Es wurden Bilder eines neuen Menschentypus gefordert, der in die Zukunft blickt und sich tatkräftig am Aufbau des neuen Arbeiter- und Bauernstaates beteiligt. Kunst und Literatur wurden der Politik untergeordnet und die Stilrichtung des „Sozialistischen Realismus“, der seine Wurzeln im Russland der 1920er Jahre hatte, wurde zur ideologischen Norm erhoben.

Anfang der 1950er Jahre verfestigten sich die ideologisch aufgeladenen Kunstvorstellungen. Es kam zum sogenannten „Formalismus-Streit“. Künstler*innen, die abstrakt arbeiteten, wurden benachteiligt und ausgeschlossen, weil sie sich nicht an der Heroisierung des Arbeiters beteiligten. So fühlten sich viele an den Nationalsozialismus zurückerinnert, weil die neuen Regelungen auch zahlreiche Werke betrafen, die bereits vom NS-Regime als „entartete Kunst“ verhöhnt und zensiert worden sind.


„Diese Hitze. Und diese Stille. So eine beängstigende Stille, mitten in einer großen Stadt. Kein Laut. Schon eine Katze wäre eine Wohltat gewesen. Auch kein Vogel! Kein Laut. Dem standzuhalten, das verlangte Kraft. Nur mal ein Geräusch in der Ferne, wenn wo was einfiel.“
Wilhelm Rudolph, in: Horst Drescher: Der alte Wilhelm Rudolph, 1988

„In der ruhelosen Vorstellung zwischen Schlaf und Wachen grub ich mit stählernem Griffel die Bilder der Zerstörung in Metall und Steinplatten, Strich um Strich wie Wunden ein.“
Wilhelm Rudolph: Das zerstörte Dresden, 1988

„Diese Holzschnitte, hart und rücksichtslos von der Zerstörung einer ganzen Generation Deutscher berichtend, diese Holzschnitte haben zwangsläufig das Schicksal der Ruinenzeichnungen erlitten. Auch Menschentrümmer wollte man nicht mehr sehen in jenen Jahren des Neubeginns.“,
Horst Drescher: Der alte Wilhelm Rudolph, 1988



Aus dem Ineinandergreifen der drei Grundpfeiler Industrie, Wissenschaft und Kunst entstand das Narrativ eines zukünftigen, eines utopischen Staates, der unter der Führung einer allgegenwärtigen Partei geformt werden sollte. Bereits Vierjährige lernten die Kampflieder der Arbeiterbewegung, Schulkinder trugen Uniformen der Jungpioniere, mit 15 Jahren wurde man auf den Kriegsdienst vorbereitet und übte etwa das Werfen von Handgranaten.

„Bei dem Wort Frieden fuhren einem automatisch Panzer durch den Kopf. Kindergartenlieder, Nachrichten, Schule hatten da eine kognitive Text-Bild-Einheit geschaffen, die offen gesagt bis heute unauflösbar ist: Der Friede muss bewaffnet sein!“
Peter Richter: 89 / 90, 2015



Die 1958 in Dresden gegründete Produktionsgenossenschaft „Kunst am Bau“ war ein Zusammenschluss bildender Künstler, die den Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte mitprägten. Aufträge für baugebundene Kunst, die auch die Gestaltung öffentlicher Plätze, Wohngebiete und der „Arbeitsumwelt“ umfassten, wurden staatlich vergeben. In der Auseinandersetzung mit praktischen und kunstpolitischen Vorgaben entwickelten die Künstler auch eigenständige Ausdrucksformen. Konstruktivistische Elemente, die bei der Bildenden Kunst als „formalistisch“ abgelehnt wurden, fanden in den Formsteinsystemen und als Ornamente in der architekturbezogenen Kunst ein Experimentierfeld.
 

Auf der Fotografie ist die Produktionsgenossenschaft Bildender Künstler „Kunst am Bau“ in ihrem Atelierhaus auf der Gostritzer Straße in Dresden zu sehen.
 

Von links: Rudolf Sitte, Vinzenz Wanitschke, Karl-Heinz Adler, Dieter Graupner, Siegfried Schade, Johannes Peschel, Egmar Ponndorf, Friedrich Kracht. 1967. Foto: Weidauer



Eckhard Kempin, 1941 in Neu-Schönwalde (heute Polen) geboren, erhielt 1973 sein Diplom in Malerei und Grafik. Seitdem ist er freischaffender Künstler. Während seines Studiums unternahm er ausgedehnte Radreisen ins sozialistische Ausland und fertigte dort zahlreiche Skizzen an, die er später in Ölgemälden verarbeitete. So auch die hier gezeigte Bulgarische Bäuerin und ihren Enkel. Bereits zu Beginn seines Schaffens experimentierte er mit zahlreichen Maltechniken und -stilen. Um von seiner Arbeit leben zu können, nahm er Auftragsarbeiten an. Mit den dabei erworbenen Materialien konnte er auch seine eigenen Arbeiten verwirklichen, denn für den Erwerb von Farben benötigte man Sondergenehmigungen.
 

„Als ich eines Tages meinen Professor [Hans Mroczinski] fragte: ‚Herr Professor, wie sieht er denn aus, der Sozialistische Realismus?‘, zuckte der nur mit den Schultern. Niemand wusste, wie er aussah und was man darunter verstand, aber jeder musste sich daran orientieren.“
Eckhard Kempin im persönlichen Gespräch



In den 1960er bis 1980er Jahren gab es in Dresden eine ausgeprägte Szene Bildender Künstler*innen und zahlreiche Privatgalerien. Um der Zensur zu entgehen, stellte man in Wohnungen und Ateliers aus, so in der Galerie Artefakt der Gebrüder Lehmann in der Institutsgasse oder dem Kelleratelier „Galerie Stiefmütterchen“ von Inge Thiess-Böttner in der Borsbergstraße 7. 

Die 1924 geborene Künstlerin studierte an der HfBK bei Wilhelm Lachnit. Ihrer gesamten Klasse wurde das Diplom aufgrund von Formalismus-Vorwürfen vorenthalten. „Viele wussten gar nicht, was das war“, so Inge Thiess-Böttner. 

Mit geometrischen Strukturen und „einer Farbigkeit, die Melodien in sich trägt“ entwickelte sie eine Stilistik, „die ihre Bilder zu einem Höhepunkt in der Weiterverfolgung eines lyrisch gestimmten Konstruktivismus machen. Ihr ging es immer um die Synthese von Organischem und Konstruktivem, um eine aus der Wechselwirkung von Emotionalität und Rationalität entstehende Harmonie.“
Karin Weber: Musik für die Augen, in: Inge Thiess-Böttner, Galerie Mitte

„Richtige Freiheit gibt es im Leben nicht. Man muss die Freiheit in sich haben, sonst gibt es sie nicht. Und wer sie hat, der hat auch Glück. Kunst, Freiheit und Glück gehören zusammen.“
Inge Thiess-Böttner in dem Film „L’art pour moi“ von Karsten Heim, 2002


„Druck erzeugt Gegendruck. Unterdrückte finden sich zusammen. Deshalb war Gruppenbildung von Künstlern, die Anpassung verweigerten, so wichtig, und eben deshalb war Gruppenbildung in der DDR nach sowjetischem Muster verboten. Trotzdem entstand sie immer wieder neu und gab der künstlerischen Entwicklung wichtige Anstöße. Diese Gruppen von Gleichgesinnten formulierten keine Programme und hatten keine Satzung. Aus ihrer Gemeinsamkeit drängten sie auf gesellschaftliche Wirkung. Ihre Reichweite in die Öffentlichkeit war gering, aber im kleinen Kreis um so eindringlicher.“
Werner Schmidt: Ein Blick zurück, in: Unter Druck. 20 Jahre Obergrabenpresse Dresden, 1999

Die Künstler der „Obergrabenpresse“ Bernhard Theilmann, Eberhard Göschel, Peter Herrmann, A.R. Penck und der Drucker Jochen Lorenz experimentierten mit der Kombination aus Druckgrafik und dem geschriebenen Wort, zunächst in Eberhard Göschels ehemaligem Neustädter Atelier am Obergraben 9. A.R. Penck war zuvor schon in der nun aufgelösten Künstlergruppe „Lücke“ aktiv, die 1971 den verkommenen Hinterhof der Hechtstraße 25 besetzte. 


Petra Kasten, Andreas Hegewald und Lutz Fleischer trafen sich in Kneipen, zeichneten gemeinsam Bilder und schrieben die Texte meist gleichzeitig. Im Siebdruckverfahren und mit Stempeln bedruckten sie Papierbögen, die sie ab 1983 als Hefte des „Leitwolfverlags“ herausgaben, natürlich ohne Genehmigung. 

„Wie viele künstlerische Selbstverlage hatte auch der Leitwolfverlag keine einheitlichen ästhetischen oder politischen Ziele. Seine Existenz richtete sich einfach gegen eine autoritäre und fremdbestimmte Kunst- und Lebenswelt. Die Idee des Leitwolfverlages war nicht nur eine Provokation der gängigen Verlagspraxis, sie basierte vielmehr auf der völligen Ignoranz derselbigen.“
Jeannine Wanek in: Siegfried Lokatis / Ingrid Sontag (Hg.): Heimliche Leser in der DDR. Kontrolle und Verbreitung unerlaubter Literatur, 2008



„Meine jugendliche Lust an der Provokation war schon Anfang der 1970er Jahre der Auslöser, Sendungen in Briefkästen zu werfen, die jeglicher vorgegebenen Norm spotteten. Während ätzend langweiliger Freistunden in der Zeit der Wehrpflicht bastelte ich zusammen mit Freunden aus weißen Norm-Umschlägen exotisch-verwirrende Kleinkunstwerke. Adressiert wurden die skurrilen Objekte meist an die Heimatadresse, schon um zu sehen, wieweit die Toleranz der Postbeamten geht.
 

Zwei Aspekte nährten die Bewegung: im libertären Westen die Abkehr vom fremdbestimmten Kunstmarkt und in den osteuropäischen Diktaturen die Chance, widerständige Ansichten zu verbreiten. So waren die Projekte und Ausstellungen, die die letzte Dekade der DDR begleiteten, deutlich näher am Zeitgeschehen als zuvor: Wettrüsten, Umweltzerstörung sowie die Einschränkung von Freiheit und Demokratie dominierten bei den Themen. Ausgestellt wurde in Kirchen oder Privaträumen – vereinzelt schafften es neutralere Projekte auch in Kulturhäuser, Betriebsflure oder Galerien.
 

Die Städte Dresden und Berlin wurden Zentren der Mail Art, aber auch in Cottbus, Erfurt, Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Rostock gab es Aktivisten. Im Hintergrund lief unermüdlich der diktatureigene Repressionsapparat: Postkontrolle und -verluste, Geldstrafen, illegale Wohnungsdurchsuchungen, Einschüchterungen und Drohungen durch Vorladungen sowie der Einsatz von Stasi-IMs.“
Birger Jesch: Grenzüberschreitung mit Briefmarke, 2019



„Im ‚Ländle‘, so ein damals gängiger Begriff für die DDR, war das Super-8-Filmformat, ähnlich wie der Siebdruck, ein schwer zensierbares Medium. Urlaubsfilme konnten nicht verboten werden. Super-8 in der Hand von Experimentalfilmern wurde zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel und stieß auf ein begeistertes Filmpublikum. In ganz Europa nutzten Künstler und Künstlerinnen das Amateurformat in den 1980er Jahren. Die Ausrüstungen wurden auf Flohmärkten gehandelt, und Rohfilmmaterial war billig zu haben.“ Claudia Reichardt: Die Galerie bleibt während der Öffnungszeit geschlossen. Wanda und die Villa Marie 1982-1990, 2010
 

Claudia „Wanda“ Reichardt wohnte von 1982 bis 1990 in der Villa Marie am Blauen Wunder und eröffnete dort 1986 die Galerie „fotogen“, die bereits 1987 wieder verboten wurde. Der Stadtteil Loschwitz war mit seiner Festkultur – ob auf den Elbwiesen oder in der Kanalisation – , den ansässigen Künstlern, dem Leonhardi Museum und dessen provokante Ausstellungen eine „Kulminationsinsel“ künstlerischer Lebensformen, so Matthias Griebel, Sohn von Otto Griebel und in der Dresdner Subkultur eine wichtige Bezugsperson.
 

Wanda leitete auch den Studentenclub der Hochschule für Bildende Künste „Wendel“ von 1985 bis 1991. An der HfBK haben die Studenten ein eigenes Biotop für den Freigeist geschaffen: Faschingsfeiern und Frühlingssalons, begleitet von Performances der Autoperforationsartisten, Yana Milev u.a., zogen den Unmut der Hochschulleitung und die Aufmerksamkeit der Stasi auf sich. Die Stasi-Unterlagen über die Hochschule sind nach der „Wende“ vermutlich mit als erste vernichtet worden.


Christine Schlegel wurde seit Beginn des Hochschulstudiums an der HfBK bis zu ihrer Ausreise 1985 überwacht. Sie verarbeitete ihre Stasi-Akten zu Collagen. Ihr vielfältiges Werk umfasst Malerei, Druckgrafiken, Buchobjekte, Fotocollagen, Objekt-Installationen und Super-8-Filme. Einige ihrer Werke entstanden in Zusammenarbeit mit der Tänzerin Fine Kwiatkowski.
 

Cornelia Schleime und Helge Leiberg studierten ebenfalls an der HfBK. Sie verließen die DDR in den 1980er Jahren, nachdem sie verschiedenen Repressalien und Zersetzungsmaßnahmen ausgesetzt waren. Cornelia Schleime musste bei der Ausreise zunächst ihre Bilder zurücklassen, die kurze Zeit später spurlos verschwunden waren. Helge Leiberg wurde von einem Tag auf den anderen aus der DDR-Staatsbürgerschaft „entlassen“. 


Der Fotograf Götz Schlötke dokumentierte die Szene der Künstler*innen in Dresden und fotografierte Performances u.a. der Gruppe Meier (Christian Späte, Tobias Stengel und Matthias Jackisch).
 
„Götz war dabei, in den Gemeinden, in der Weinbergkirche, bei den Protest- und Kunstaktionen und ganz oft in seiner Dunkelkammer. Als er 2001 an Krebs starb, blieb sein Fotoarchiv sortiert aber zu wenig reflektiert zurück. Vielleicht hat er den einen Stein, den er den DDR-Mächtigen hinterherwarf, zu teuer bezahlt? Jedenfalls kam er sehr down und ernst aus dem Knast zurück.  Seine eigenständigsten fotografischen Arbeiten entstanden nach 1990, die großen Fotogramme und die preisgekrönte Arbeit mit den toten Tauben, die ihm den Vorwurf des Morbiden eintrug. Hier sind nun aber auch einige eher unscheinbare, wie nebenbei entstandene Arbeiten zu sehen, die zeigen, wie nahe am Kunstgeschehen Götz Schlötke sich bewegte. Immer auf der Suche nach einer eigenen, ihn selbst aussprechenden Form.“
Matthias Jackisch: Götz Schlötke, 2019


„Fotoabzug und Siebdruck spielten eine zentrale Rolle bei der Vervielfältigung von Texten, Plakaten und Einladungen. Das war kostengünstig und schnell. Der Zugang zu Offset-Maschinen war durch die staatliche Druckgenehmigungspflicht blockiert. Inhalte aus dem künstlerischen und politischen Untergrund hatten keine Chance, jemals eine solche Erlaubnis zu erhalten. Der Stasi erkannte die Gefahr alternativer Informations- und Kommunikationsmedien für nonkonforme Ideen, konnte jedoch kaum eingreifen. Fotopapier, Farbe, Siebe und Rakel waren frei erhältlich. Siebdruck und Fotografie avancierten zu einer ähnlichen Gefahr für einen autoritären Staat wie seit Mitte der neunziger Jahre das Internet.“
Claudia Reichardt: Die Galerie bleibt während der Öffnungszeit geschlossen. Wanda und die Villa Marie 1982-1990, 2010

Wolfgang Petrovsky, 1947 in Freital-Hainsberg bei Dresden geboren, verwendete die Siebdrucktechnik v.a. für die Gestaltung zahlreicher Postkarten-Serien, in denen er sich mit politischen Themen wie dem Wettrüsten im Kalten Krieg oder Victor Klemperers „LTI“ auseinandersetzte.


Das volle Ausmaß der Überwachung der DDR-Bürger durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wurde erst nach dem Mauerfall erkennbar. Ende der 80er Jahre kam auf 180 Bewohner ein hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi. Nach der „Wende“ zerbrachen zahlreiche Freundschaften aufgrund früherer Stasitätigkeiten.
 

Die Allgegenwart von „Horch und Guck“ schürte nicht selten Angst, Misstrauen und Paranoia. Es wurde nicht nur flächendeckend bespitzelt und überwacht, sondern auch Freundeskreise wurden unterwandert und systematisch zersetzt. Künstlergruppen galten grundsätzlich als verdächtig. Alternative Lebensweisen und künstlerischer Eigensinn wurden tabuisiert.
 

Auch die Kunst sollte ihre staatliche Aufgabe erfüllen. Auftragswerke wurden an Künstler verteilt, die den Maßgaben des „Sozialistischen Realismus“ entsprechend erbaulich wirken sollten. Mitunter wurde aber auch nur ein grobes Thema vorgegeben. Die SED-geführte Auftragskommission kontrollierte die Arbeit des Künstlers, griff in die Entstehung ein und lehnte gegebenenfalls das Werk ab, wenn es nicht ihren Vorstellungen entsprach, bezahlte aber trotzdem die geleistete Arbeit. Dementsprechend gab es verhältnismäßig viele Maler, die von ihrer Arbeit leben konnten. Kunstausstellungen wurden überdurchschnittlich gut besucht. Jedoch gab es keinen freien Kunstmarkt, was selbstbestimmtes Arbeiten zusätzlich erschwerte.
 

Nach der „Wende“ wurden zahlreiche Auftragswerke vor allem im öffentlichen Raum vernichtet oder in Depots archiviert. Im sogenannten „Bilderstreit“ entbrannten heftige Diskussionen darüber, wie mit Auftragskunst umgegangen werden solle. Eine maßgebliche Rolle für die Hitzigkeit, mit der dieser Diskurs geführt wurde, spielte der Künstler Georg Baselitz, der 1990 im Interview mit dem art-Magazin behauptete, dass es in der DDR überhaupt keine richtigen Maler gegeben hätte: „Keiner von denen hatte je ein Bild gemalt […] Keine Jubelmaler, ganz einfach Arschlöcher.“ Gemeint waren zwar vor allem Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig, er behauptete aber auch, dass alle, die überhaupt malen konnten, entweder ausgebürgert worden waren oder (so wie er selbst) freiwillig das Land verlassen hätten. Es dauerte viele Jahre bis in die meist sehr emotional geführten Debatten eine gewisse Differenzierung Einzug hielt. Zunächst aber wurden die Künstler in die Gruppe der Dissidenten und die der Staatsmaler aufgeteilt. Diese Vereinfachung wurde der realen Vielschichtigkeit der DDR-Kunstszene nicht gerecht.


Übersicht und Werkverzeichnis

 





 

 



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