Gelebte Erinnerungskultur

Gelebte Erinnerungskultur
»Ideologie, Kunst, Vision« neben dem »Weg der Roten Fahne«

Im Oktober 2019 jährt sich nicht nur die Friedliche Revolution zum dreißigsten Mal, sondern auch der Dresdner Kulturpalast feiert sein 50-jähriges Bestehen und mit ihm eines der umstrittensten Baudenkmäler der Nachwendezeit: das Wandbild »Der Weg der Roten Fahne« von Gerhard Bondzin. Was viele nicht wissen, ist, dass an dieser Stelle eigentlich ein anderes Bild entstehen sollte. Ein 1966 vom Rat der Stadt ausgeschriebener Wettbewerb unter der Thema »Die Veränderbarkeit der Welt« hatte eigentlich Rudolf Sitte gewonnen. Der Entwurf war aber letztlich zu abstrakt, modern und ideologisch nicht aufgeladen genug, um von der SED akzeptiert zu werden. Gefordert war ein Motiv, das den Wert der Arbeit und die Überlegenheit des Sozialismus darstellen sollte.


Der folgende Direktauftrag an den damals als »ideologisch unbedenklich« geltenden Bondzin wurde als Paradebeispiel der kollektiven Kunstproduktion geplant. Zahlreiche weitere Künstler waren in das Gruppenprojekt mit einbezogen, unter anderem auch die nach sowjetischen Vorbild gerade eingerichtete Klasse für Monumentalmalerei an der HfBK. Zudem wurde mit »Der Weg der Roten Fahne« erstmals ein an der Technischen Universität entwickeltes Verfahren zur farbigen Beschichtung von Betonplatten einer großen Öffentlichkeit präsentiert. Dazu wurde eine Mischung aus elektrostatisch aufgeladenen Glassplittern und geschrotetem Kork zusammen mit Klebstoff und Farbe direkt auf die Platten geschossen. 

Während auch weniger ideologisch belastete baubezogene Kunst aus der Zeit des Sozialismus nach der »Wende« systematisch zerstört oder deinstalliert wurde, ist »Der Weg der Roten Fahne« von den Säuberungsmaßnahmen verschont geblieben. Und das obwohl gerade dieses Motiv den bewaffneten Arbeiterkampf und die typisch sozialistischen Fortschrittsversprechen unverhohlen zur Schau stellte. Viele Einwohner empfanden das Bild dennoch als erhaltungswürdig, da es zugleich als Fenster in die Vergangenheit die Erinnerung und die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur herausfordert, und dabei 120 Jahre Geschichte darstellt. Die 15 Figurengruppen ordnen (übrigens als Pendant zum Dresdner Fürstenzug) die Gründung der DDR in die Fortentwicklung des Sozialismus ein. Im Bildvordergrund dominiert eine Frauenfigur, die angelehnt an Delacroixʼ Freiheitstallegorie von 1830 symbolisch in die Zukunft schreitet. 


Der »Erkenntnis durch Erinnerung e.V.« (Trägerverein Gedenkstätte Bautzner Straße), der »Denk Mal Fort e.V.«, sowie die »Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen« und die »OSTRALE – Zentrum für zeitgenössische Kunst« haben daher das Jubiläumsjahr zum Anlass genommen, um sich gemeinsam mit Dresdnerinnen und Dresdnern über Erfahrungen aus DDR und Nachwendezeit auszutauschen. Vom 7. Oktober bis 9. November werden dazu zwei Container gegenüber des Wandbildes aufgebaut, in denen eine interaktive Ausstellungsinstallation zu finden sein wird. Im ersten Container wird eine Befragung von Besuchern stattfinden, die die Themen Erinnerung, Werte und Vergangenheit behandelt. Es geht dabei um verschiedene Ansätze und Fragestellungen, die sich nicht nur auf den »Weg der Roten Fahne« beziehen. Der zweite Container ist dem Thema Zukunft gewidmet und soll dazu anregen Wünsche und Vorstellungen zu reflektieren. Für die Abendstunden hat Andrea Hilger eine Licht-Installation konzipiert, die auf das Wandbild gegenüber projiziert wird. Zudem werden neben der Eröffnung drei weitere Veranstaltungen unter dem Namen »Ideologie, Kunst, Vision« im Zentrum für Baukultur stattfinden. 

Eröffnung am 7. Oktober 18 Uhr, Öffnungszeiten 8. Okt – 9. Nov, 11–18 Uhr, Schloßstraße 


(Dieser Text ist für das Dresdner Kulturmagazin erschienen.)

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