Christian Borchert. Der würdevolle Blick des Einzelgängers

Der würdevolle Blick des Einzelgängers
Die große Werkschau »Christian Borchert. Tektonik der Erinnerung« im Kupferstich-Kabinett

Dem großen Seriendenker in der Fotografie der DDR, Christian Borchert, hat das Dresdner Kupferstich-Kabinett nun eine umfangreiche Werkschau gewidmet. In einer Hauptausstellung und insgesamt fünf Satellitenausstellungen soll das Gesamtwerk des herausragenden Fotografen nun zum ersten Mal einem größerem Publikum präsentiert werden. Zu sehen sind natürlich die berühmten Künstler- und Familienporträts, die Dokumentation vom Wiederaufbau der Semperoper und die Bilder, die Borchert aus Dokumentarfilmen herausgeschnitten hat, aber auch weniger bekannte oder noch nie gezeigte Bilder. Neu sind auch Borcherts Filmaufnahmen, die zum Teil schon beim Filmfest Dresden gezeigt wurden. Zudem ermöglichen persönliche Objekte und Fotografien von Maria Sewcz Einblicke in Borcherts Arbeitsweisen und sein systematisch geordnetes Fotoarchiv.


Christian Borchert wurde 1942 in Dresden geboren, mit 12 Jahren hat er angefangen zu fotografieren, dann wohnte er in Berlin und arbeitete für die Neue Berliner Illustrierte, der auflagenstärksten Illustrierten der ehemaligen DDR, später machte er ein Fernstudium an der HGB Leipzig. Doch regelmäßig zog es ihn wieder und wieder in seine Heimatstadt zurück. Er führte ein Pendlerdasein. Das Leben eines Einzelgängers. Eines Reisenden, der in seiner Arbeit versuchte, zum Lebensalltag eine gewisse Distanz aufzubauen, um damit aber letztlich näher an seine Motive heranzurücken, um ihnen Deutlichkeit und Würde zu verleihen.

Der Begriff der Distanz war prägend für sein Schaffen. Nach seinem Militärdienst hatte er einen Auftrag der DDR-Regierung angenommen, eine Bilddokumentation für die Nationale Volksarmee anzufertigen. Er schämte sich später dafür, weil er auch die Bildsprache der DDR-Propaganda bediente. Ähnlich war es bei der Arbeit als Illustrierten-Fotograf. Die lächelnden Fotomotive auf den Titelblättern waren zwar handwerklich makellos, doch auch von einer gewissen Inhaltsleere geprägt. Er brauchte Abstand, um seine Umgebung wieder neu deuten zu können. 

In Borchert wuchs der Wunsch heran, etwas Bleibendes zu schaffen. Die Entdeckung des Fotografen August Sander hat ihm den Stoß in die richtige Richtung gegeben. Denn nun versuchte er die Menschen in ihrer natürlichen Umgebung aufzusuchen. Machte zahlreiche Reisen ins osteuropäische Ausland, fotografierte die Menschen bei ihrer Arbeit und bei ihren alltäglichen Verrichtungen. Immer wieder steht der Mensch und seine Arbeit im Mittelpunkt, ohne dass dabei auch nur ein Hauch von dem sozialistischen Kitsch der Arbeiterfotografie zu spüren wäre, den zu seiner Zeit viele praktizieren. Stattdessen bricht er mit vorgefertigten Bildsprachen.


In seinen Bildserien schwingen philosophische Ansätze mit. Vor allem in seiner berühmten Dokumentation vom Wiederaufbau der Semperoper (1977-85) und dem Alltagsgeschehen in Dresden zeigen sich erste Ansätze für sein späteres Schaffen. Borchert bildet eher selten karge Trümmerlandschaften ab, sondern rückt stets das unaufhaltsame Treiben, die schöpferische Kraft, die dem Menschen innewohnt, ins Zentrum seiner Bilder. Abbrüche und Wiederaufbau von Teilen der Semperoper werden stellvertretend für ein ganzes Volk, das bestrebt ist, sich ein neues Leben aufzubauen und in der alle Gewerke ihren Platz einnehmen, um dieses einzigartige Kulturdenkmal aus den Trümmern zu heben.

Ähnlich sind seine Reisebilder. Er porträtiert einfache Menschen. Vor allem Berufsgruppen haben es ihm angetan. Zufällige und flüchtige Konstellationen verwandelt er in vielsagende Bildkompositionen, jenseits der damals beliebten Arbeiter-Kitsch-Fotografie. Der individuelle Mensch tritt aus einem komplizierten Netz gesellschaftlicher Zusammenhänge hervor. Stärker noch tritt dies in seinen Familienporträts zum Vorschein, die er 1983 anfertigt. Zehn Jahre später sucht er diese nochmals in ihren Wohnzimmern auf. Erlebbar wird dabei deutlich der Einfall der westlichen Werte in die ostdeutsche Lebenswelt. Die Gesichtsausdrücke der Familien werden zu Spiegeln einer Geschichte, die eben nicht nur Gewinner und Verlierer hinterlässt, sondern vielschichtige Persönlichkeiten in einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels.

Borchert hat sich stets kritisch mit der vorgefertigten Bildästhetik seiner Zeit auseinandergesetzt. Seine Arbeiten zeugen von der ständigen Suche nach neuen Perspektiven, die einen subjektiven Blick auf eine Zeit wirft, die von ideologisch geprägten Motiven dominiert ist. Die umfassende Retrospektive, die unter der Leitung von Bertram Kaschek entstanden ist, bietet eine spannende Übersicht über das Werk dieses vielseitigen Künstlers.

»Christian Borchert. Tektonik der Erinnerung« noch bis zum 08.03.2020 im Kupferstich-Kabinett des Residenzschlosses, täglich 10 – 18 Uhr, Dienstag geschlossen. Weitere Ausstellungen im Riesa efau, Studiolo im Residenzschloss, Albertinum, bautzner69 und in Wuischke bei Bautzen. Der Ausstellungskatalog erscheint im Februar 2020 im Verlag Spector Books

(Der Text ist ähnlicher Weise im Dresdner Kulturmagazin erschienen.)

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abends in der Huschhalle

Kein Skandal im Sperrbezirk

»Man muss Anfängen wehren, auch wenn diese aus einer vermeintlich richtigen Richtung kommen«