Ein Klima der Hysterie

Ein Klima der Hysterie
Kolumne vom Stephan Zwerenz

Politik und Medien haben ihren eigenen Klimawandel bereits lange hinter sich gebracht. Vielseitige Debatten und Berichte scheinen die Rarität auf den Clickbaiting-Marktplätzen des World Wide Webs geworden zu sein. Wer sich im Buhlen um die mediale Aufmerksamkeit behaupten will, passt sich nicht selten dem herrschenden Klima der Hysterie an. Die Tendenz zu derartigen Extremen verbaut uns aber auf längere Sicht die Möglichkeit zum differenzierten Diskurs und damit auf eine konsensorientierte Gesellschaft. Denn es ist schlichtweg nicht möglich, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu finden. Wer wirklich gesellschaftliche Probleme lösen will, muss sein Schwarz-Weiß-Denken hinter sich lassen.

Das Bild stammt von Wikimedia Commons und zeigt einen Ausschnitt von Edvard Munchs „Der Schrei“.

Hauptsache, es klickt!


Medienstrategien, die durch Provokationen polarisieren, ohne dabei wirkliche Lösungen anzubieten, sind längst Mainstream geworden. Man kann nur vermuten, wer da von wem abgeguckt hat, aber der Plan scheint aufzugehen. Seien es AfD, Pegida, Donald Trump, Boris Johnson oder Viktor Orbán, sie alle sind oder waren in den Medien dauerhaft präsent, ohne wirklich etwas Neues zu sagen zu haben. Das ist schon bemerkenswert, wenn man sich die Bedeutung des Nachrichtenwertes vor Augen hält, der dadurch meist nicht erfüllt wird. Aber wen interessieren schon Inhalte, wenn man eine schockierende Überschrift hat, über die sich Befürworter wie Gegner echauffieren können? Hauptsache, es klickt. 

Worauf Medienvertreter wie Politiker vertrauen, die derartige Strategien anwenden, sind in erster Linie nur die Regeln der Freien Marktwirtschaft. Es geht dabei, ohne Rücksicht auf Verluste aus der Masse der Anbieter herauszustechen. Polarisation und Abgrenzung versprechen in der Werbebranche hohe Erfolgschancen und eine zuverlässige Kundenbindung. Emotionalität ist dabei viel wichtiger als der inhaltliche Aspekt. Denn Gefühle wecken Interesse an einer Sache, ohne dass man von der Qualität oder dem Nutzen wirklich überzeugt sein muss. Durch Emotionalität schafft man sich Bewusstsein. 

Wut und Empörung

Allerdings sind Werkzeuge rechtspopulistischer Strategien ausgerechnet negative Gefühle. Wut und Empörung sind sehr starke Emotionen. Bilder der Übertreibung und Gehässigkeit lassen einen so schnell nicht mehr los. Das Negative bleibt dem Menschen stärker im Bewusstsein als positive Gefühle. Auf politischer Ebene wird aber dieser Cocktail aus respektlosen verbalen Ausschweifungen und einer permanenten Medienöffentlichkeit auf Dauer zum gesellschaftlichen Sprengstoff. Denn er führt, anders als beim Product Placement, zu einer nachhaltigen Spaltung der Gesellschaft. 


Wenn etwa Alice Weidel wieder einmal über „Messermigration“ oder „Kopftuchmädchen“ redet, erzeugt sie damit ein Bild, auf das Medien und Politik reagieren müssen, weil es sie emotional aufwühlt. Gerade aber die Reaktion darauf ist Teil des Kalküls. Denn wenn die Medien nun über diese letztlich beiläufigen Formulierungen berichten, bauschen sie damit das Thema künstlich auf und erzeugen eine Debatte, in der es nie um Inhalte geht, sondern ausschließlich um Emotionalität. Hat dieses Ping-Pong-Spiel einmal begonnen, kann es ewig weitergeführt werden, ohne dass sich der Diskurs in irgendeiner Form weiterentwickelt, außer eben auf emotionaler Ebene.

Gegen einen übermächtigen Feind

Das Fatale dabei ist, dass man als Gegenüber selten mit Argumenten weiterkommt, sondern sich immer tiefer in eine emotionale Debatte hineinziehen lässt und sich gegebenenfalls sogar dabei erwischt, wie man plötzlich Positionen einnimmt, die man gar nicht selbst vertritt, einfach nur um etwa der AfD nicht zustimmen zu müssen. Dadurch macht man sich unglaubwürdig. Dass das aber gerade von der AfD durchaus so geplant ist, sollte spätestens seit dem AfD-Strategiepapier bekannt sein, das Anfang 2017 aufgetaucht ist. Darin steht ganz klar: „Je nervöser und je unfairer die Altparteien auf Provokationen reagieren desto besser. Je mehr sie versuchen, die AfD wegen provokanter Worte oder Aktionen zu stigmatisieren, desto positiver ist das für das Profil der AfD.“ In dieser Medienstrategie liegt meiner Meinung nach auch das Erfolgsrezept der Partei. Viele fühlen sich von der moralischen Grenzüberschreitung angesprochen. Es tut zudem auch gut, einen übermächtigen Feind zu haben, dem man sich gemeinsam entgegenstellen kann.

Wenn man der AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber Glauben schenken will, dann scheint die AfD sich gezielt ein Klima der Hysterie in den sozialen Medien geschaffen zu haben. Die Mitglieder seien dazu aufgefordert worden, sich facebook-Profile anzulegen und sich zu vernetzen, um eine Gegenöffentlichkeit zu erzeugen. Jede Aussage müsse aber „catchen“. „Es darf auch gerne provozieren, es darf gleichzeitig aber nicht justiziabel sein und es muss immer eine zweite Bedeutungsebene geben. Also je provokanter die Aussage wird, umso wichtiger wird die zweite Bedeutungsebene, auf die man sich zurückziehen kann, wenn es in der Öffentlichkeit den Shitstorm gibt.“ Demzufolge kann man die AfD zumindest auf digitaler Ebene getrost auch als „Trollfabrik“ bezeichnen, die den öffentlichen Diskurs stört, indem sie mit emotionaler Provokation auf den Gegenüber zielt, ohne einen echten Beitrag zur Diskussion zu leisten. 

Es mag nicht ausreichen, sich an die Goldene Regel des Internets „Don’t feed the troll“ zu halten oder sich auf die eigenen Werte zurückzubesinnen, um ein Klima der Hysterie zu vermeiden. Aber noch mehr Emotionalität ist an dieser Stelle definitiv das falsche Mittel, um diesem Klima entgegenzuwirken.

(aus der Kolumne bei Flurfunk Dresden)

Beliebte Posts aus diesem Blog

Abends in der Huschhalle

Kein Skandal im Sperrbezirk

»Man muss Anfängen wehren, auch wenn diese aus einer vermeintlich richtigen Richtung kommen«