Mit Elon Musk in der Matrix gefangen

Mit Elon Musk in der Matrix gefangen
Kolumne von Stephan Zwerenz

Die ganze Bundesrepublik scheint sich über die Bekanntgabe von Elon Musk zu freuen, dass Tesla eine neue Gigafactory in Brandenburg bauen will. Doch im Netz finden sich nur wenige kritische Berichte, die auch die Schattenseiten des aufstrebenden US-Konzerns beleuchten. Woran liegt es, dass wir in puncto Zukunftsversprechen immer nur die Entwicklung von Technologien im Kopf haben, selten aber soziale und ethische Modernisierungen? 


Die Entscheidung zwischen roter und blauer Pille ist in dem Film Matrix eine Frage zwischen Freiheit und Sklaverei.

Der „Guardian“ berichtete bereits vor etwa zwei Jahren über die desaströsen Arbeitsbedingungen in der Tesla-Fabrik von Kalifornien. Über 100 Mitarbeiter seien dort seit 2014 wegen Überarbeitung und Stress zusammengebrochen. Es werden auch Mitarbeiter zitiert, die daran gehindert wurden, den kollabierten Kollegen zu helfen. Es sei schließlich genug, wenn einer den Arbeitsprozess verzögere.

Bis zu 100 Arbeitsstunden pro Woche

Elon Musk, der nach eigenen Angaben bis zu 120 Stunden in der Woche arbeitet, ist dafür bekannt, auch seinen Mitarbeitern einiges abzuverlangen. 80 bis 100 Stunden müssen diese pro Woche arbeiten. Musk antwortete über Twitter auf die Vorwürfe (die übrigens alle seine Unternehmen betreffen) mit den Worten: „Es gibt viel einfachere Orte zum Arbeiten, aber niemand hat jemals die Welt mit 40 Stunden pro Woche verändert.“

Tesla, SpaceX, Neuralink, Hyperloop, Solar City, OpenAI, The Boring Company und natürlich PayPal. Alles das sind bahnbrechende, revolutionäre und vor allem visionäre Projekte, die die gesamte Weltwirtschaft zum Nachdenken und Umdenken anregen, neue Forschungszweige und Visionen beflügeln, doch wieso können Unternehmen der Zukunft nicht auch bahnbrechende Arbeitskonzepte entwickeln? Es wirkt also wahrscheinlicher, dass wir Touristen ins All schicken, bevor Arbeitskräfte auf der Erde gerecht behandelt werden.

Auch das Magazin „Business Insider“ warnte bereits, dass sich Musk auf die deutschen Arbeitsschutzgesetze einstellen müsse, die auch andere US-Unternehmen wie Amazon, Walmart oder Chrysler vor ungeahnte Probleme in ihrer Firmenpolitik gestellt haben. In Deutschland beschränkt das sogenannte Arbeitszeitgesetz die maximale Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden, in Ausnahmefällen kann sie einmal im Halbjahr auf 60 Stunden erhöht werden. Alles andere gilt als gesundheitsschädigend. Für Elon Musk seien allerdings noch bis zu 80 Stunden zumutbar. Via Twitter schrieb er: „Varies per person, but about 80 sustained, peaking above 100 at times. Pain level increases exponentially above 80.“

Die Welt als Simulation

Bei einer derartigen Arbeitsethik, die Arbeiter wie Variablen in einer Gleichung behandelt, fragt man sich doch ernsthaft, in welcher Welt ein Visionär wie Elon Musk eigentlich lebt. Die Antwort kam von Musk selbst. Auf einer Technologiekonferenz des Blogs „Recode“ gab er an, dass er an die sogenannte „Simulationshypothese“ glaube. Das ist die Vorstellung davon, dass die ganze Welt und alle darin befindlichen Lebewesen nur die Simulation eines Computerprogramms sind und gar nicht wirklich existieren. Er behauptete gar, dass die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Welt keine Simulation wäre, nur eins zu mehreren Milliarden betragen würde. Er glaubt also an die Existenz eines Gedankenexperiments, das wir aus dem Höhlengleichnis von Platon oder von den methodischen Zweifeln René Descartes kennen, das durch Bücher wie Simulacron-3 oder Filme wie Matrix und Vanilla Sky populär geworden ist.

Er stützt sich bei seiner Argumentation, ähnlich wie der schwedische Philosoph Nick Bostrom, auf die rasante Entwicklung von Computerspielen. Erst kam Pong und kaum 40 Jahre später gab es bereits fotorealistische Computersimulationen, die unserer Welt relativ ähnlich sehen. Wenn die Entwicklung so weitergeht, dann sei nach Musk die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass zukünftige Generationen Simulationen erzeugen würden, mit denen sie frühere Zustände der Welt berechnen können, um ihre eigene Vergangenheit besser zu verstehen. Somit wachse auch die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Realität bereits die Simulation einer fortgeschritteneren Menschheit sei. 


Das Faszinierende an der Simulationshypothese ist, dass sie weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Doch wie alle metaphysischen Annahmen können wir auch diese in der Kategorie des Glaubens verorten. Eine Simulation bezieht sich immer nur auf etwas, das in der realen Welt existiert und ahmt diese nach. Wenn also ein Mensch ein Computerspiel spielt und dort etwa Wolken sieht, dann erkennt er diese künstlichen Wolken nur, weil er etwas aus der realen Welt kennt, das diesen simulierten Wolken entspricht. 

Die reale Welt ist immer sowohl Ausgangspunkt als auch Vorlage für eine simulierte Welt. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob die Realität nicht auch nur die Simulation aus einer höheren Realitätsebene ist. Und diese reale Welt wiederum nur eine Simulation aus einer höheren Ebene. Man gerät dabei in einen infiniten Regress, der jegliche Realitätsannahme ad absurdum führt. Die einzige Möglichkeit, die uns bleibt, ist, die Welt, in der wir leben, so zu behandeln, als wäre sie real.

„Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“

Wer jedoch davon ausgeht, dass nichts real ist, läuft Gefahr seine emotionale Empathiefähigkeit zu verlieren. Friedrich Nietzsche untersuchte in seiner „Genealogie der Moral“, welche verhängnisvollen Folgen dieses Denken haben kann. Am Beispiel des Assassinenführers Rashid ad-Din Sinan, der den Satz „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“ zu dem Credo seines Ordens deklarierte, zeigte Nietzsche, dass eine solche Lebenseinstellung zweierlei Seiten hat. Auf der einen Seite schulte sie ad-Din Sinans unkonventionelle Geisteshaltung. Auf der anderen Seite führte sie ihn aber zur Verneinung der Sinnlichkeit und forderte von ihm eine asketische Selbstdisziplinierung ab, die er dann auch seinen Untertanen abverlangte. So gelang es ihm, eine Anhängerschaft zu erziehen, die sich durch absolute Loyalität und blinden Gehorsam auszeichnete. Bereitwillig stürzten sie sich für ihren Führer in den Tod, in dem Glauben, einer höheren Sache zu dienen.

Auch wenn der Vergleich von Assassinen-Orden und Tesla-Mitarbeitern natürlich absurd ist, so erscheint es doch merkwürdig, dass gerade auch um Elon Musk eine Art sektenähnlicher Personenkult entstanden ist. Seine Mitarbeiter verkaufen zum Beispiel T-Shirts mit dem Aufdruck „In Musk we trust“ – eine Umformung des Wahlspruchs der USA, der auf jede US-Dollar-Note gedruckt wird. „God“ wurde also durch „Musk“ ersetzt. Natürlich sind diese Shirts witzig gemeint, allerdings offenbaren sie auch den hippen und coolen Lifestyle der modernen Selbstausbeutung. 

Bis zu 10.000 neue Jobs will Tesla in Grünheide und Berlin schaffen, um an zukunftsweisenden Technologien zu arbeiten und dabei zum größten Teil erneuerbare Energien zu nutzen. Die Fusion aus Teslas innovativen Ansätzen und dem Expertenwissen der deutschen Autoindustrie kann definitiv neue Horizonte eröffnen. Aber in Zukunftsvisionen sollten immer auch zukunftsweisende Arbeitsbedingungen mit einfließen, anderenfalls verwandelt sich die Utopie schnell in eine Dystopie.

(aus der Kolumne bei Flurfunk)


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