Sucht nach uns! Zentrum für Politische Schönheit in Dresden

Sucht nach uns!
Das Zentrum für Politische Schönheit hatte auch Aktionen in Dresden
und in anderen deutschen Städten geplant

Die Kunstaktivisten des Zentrums für Politische Schönheit haben am Montag eine neue Aktion mit dem Namen »Sucht nach uns!« ins Leben gerufen und sind dabei, wie geplant, auf gemischte Gefühle gestoßen. Nahe dem Reichstagsgebäude in Berlin wurde von ihnen eine Gedenksäule für Holocaust-Opfer aufgestellt. Darin befinden sich die Asche und die Knochenreste von ermordeten KZ-Häftlingen. Am 7.12.2019 sollte diese einbetoniert werden. Mittlerweile ist die Säule verdeckt, die Einbetonierung abgesagt.


Gestern Morgen (3.12.)  polarisierte das Künstlerkollektiv zudem mit der Behauptung, sie hätten den Grabdeckel von Franz von Papen gestohlen, einem der Hauptschuldigen der NS-Verbrechen. Von Papen wurde zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, ist aber bereits nach weniger als zwei Jahren wieder entlassen und in einem Ehrengrab in Wallerfangen bestattet worden. 

Der dritte Schritt der Aktion wurde nun abgebrochen. Auch andere Orte in Ostdeutschland sind mit in das Projekt eingebunden gewesen. In den Schaufenstern des Hole of Fame in Dresden, im ehemaligen Chemnitz Open Space, beim EisDealer in Halle, sowie in zwei leerstehenden Gebäude in Cottbus und Arnstadt wurden für kurze Zeit weitere Objekte mit der Asche aus Konzentrationslagern ausgestellt. Diese Objekte sind Bohrkerne von Bodenproben aus verschiedenen Konzentrationslagern, die aus einer umfassenden zweieinhalbjährigen wissenschaftlichen Recherchearbeit des Zentrums für Politische Schönheit hervorgegangen sind. In dieser Grundlagenforschung wurde untersucht, was mit der Asche der Holocaust-Opfer geschehen ist. Über die Inhalte der geplanten Aktion wurden die Veranstalter bis zur Installation nicht informiert, ein Rücktritt vertraglich festgehalten. Mittlerweile sind auch diese ausgestellten Stelen aus Rücksicht auf Betroffene, Angehörige und Hinterbliebene entfernt worden. Das Zentrum für Politische Schönheit hat zudem eine umfassende Stellungsnahme und eine aufrichtige Entschuldigung verfasst und auf seiner Website veröffentlicht. 

Hintergründe:

Das Netzwerk hinter der Künstlergruppe legte im Laufe seiner zweieinhalbjährigen Recherchearbeit ein Archiv an, das die letzten Gedanken von KZ-Häftlingen versammelt. Diese wurden u.a. auf Postkarten aus Deportationszügen geworfen, in Gurkengläsern oder Thermoskannen vergraben oder im doppelten Boden von Schüsseln versteckt. Zum anderen wurde eine Vorrecherche zum Umgang mit Aschehalden am Beispiel des Konzentrationslagers in Auschwitz begonnen. Begleitend zu der Arbeit sind die beiden Publikationen »An die Nachwelt. Letzte Nachrichten und Zeitzeugnisse von NS-Opfern gegen das Vergessen« und »Die Wege der Asche. Eine quellenkritische Chronologie für das Interessengebiet Auschwitz« erschienen, die auf der Webseite des Zentrums für Politische Schönheit kostenlos heruntergeladen werden können.



Wie auch in anderen Aktionen wollten die Kunstaktivisten mit ihrer Kunstaktion auf die schrecklichen Konsequenzen von politischen Entscheidungen aufmerksam machen und vor den Inhalten nationalistischen Gedankenguts warnen. In der Einleitung zu »Die Wege der Asche« zitieren sie dazu auch explizit einen »bekannten thüringischen Politiker«, der das Holocaust-Mahnmal in Berlin als »Denkmal der Schande« bezeichnete und »wohltemperierte Grausamkeit« als legitimes politisches Mittel ansieht. Für den Standpunkt der Gedenksäule in Berlin wurde deshalb auch die Fläche gewählt, auf der früher die Krolloper stand. Hier fanden nach dem Reichstagsbrand Ratssitzungen der NSDAP statt, die letztendlich zu den Verbrechen der Nazizeit geführt hatten. 

Eine Zeit, in der Holocaust-Leugnungen auf öffentlichen Plätzen (wie etwa bei den Pegida-Demonstrationen) regelmäßig stattfinden und in denen bekennende Rechtsextremisten in allen deutschen und europäischen Regierungen sitzen, sei Anlass genug für diese Aktion gewesen. So liest es sich aus dem Vorwort von »Die Wege der Asche«. Man müsse sich die NS-Verbrechen wieder drastischer vor Augen halten und vor allem mit wissenschaftlichen Untersuchungen unterlegen, denn ihrer Meinung zufolge würden Kunstaktionen im öffentlichen Raum dazu nicht ausreichen. Sie dienen aber dazu, auf diese Ergebnisse aufmerksam zu machen und die Aufarbeitung anzuregen. 

Die Stele wurde nach Abbruch der Aktion durch die Publikation »An die Nachwelt. Letzte Nachrichten und Zeitzeugnisse von NS-Opfern gegen das Vergessen« vom Zentrum für Politische Schönheit ersetzt.

Für die Kunstaktivisten stand vor allem die Frage im Zentrum: »Wo ist die Asche von Millionen Ermordeten der Nazidiktatur? Was geschah mit ihren sterblichen Überresten?« Forschungen zu diesem Thema haben kaum stattgefunden und können dementsprechend auch nicht im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen sein. Die Asche ist bereits fester Bestandteil unserer Böden geworden. Die Nazis bauten damit ganze Dämme, nahmen sie als Düngemittel oder kippten sie in die Flüsse. Die Aktivistengruppe wolle auf diese verdeckten und verdrängten geschichtlichen Ereignisse hinweisen. Nach ihrem Verständnis von Aktionskunst, die sie auch als »Aggressiven Humanismus« bezeichnen, könne man die breite Masse der Bevölkerung nur erreichen, indem man die Menschen schockiert und somit die mediale Distanz überwindet, die sie gegenüber den katastrophalen Folgen des politischen Geschehens aufgebaut haben. Denn nur durch Schock und Provokation werde ein gesellschaftlicher Diskurs angeregt, der die Menschen zum Nachdenken bringe. Von daher ist eine kontrovers geführte öffentliche Diskussion auch immer Teil des Kunstwerks. Man konnte auch in den letzten Tagen wieder beobachten, dass das Konzept durchaus funktioniert. Allerdings hätten sie nach eigenen Angaben den Wirkungsaspekt dieser Aktion nicht absehen können und bitten daher aufrichtig um Entschuldigung. 


(Transparenzangabe: Der Autor ist Vereinsmitglied des Hole of Fame e.V. und hat deshalb alle Informationen aus erster Hand. Der Text ist für das Dresdner Kulturmagazin entstanden.)


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