Eine Geschichte über Freiheit und Demokratie

Eine Geschichte über Freiheit und Demokratie
Über Deniz Yücels Buch »Agentterrorist«

Die Zeit nach der Verhaftung von Deniz Yücel markiert den Tiefpunkt der deutsch-türkischen Beziehungen. Die Bundesregierung übte damals massiv Druck auf das AKP-Regime von Recep Tayyip Erdoğan aus und rief ihn immer wieder zur Vernunft auf. Vermutlich hatte der türkische Regierungschef die Festnahme des Journalisten persönlich veranlasst, zumindest hatte er versichert, dass Yücel niemals freikommen würde, solange er im Amt ist. Er bezeichnete ihn als »Agenten« und »Terroristen«, und verglich die Bundesregierung mit Hitler-Deutschland, weil sie Yücel öffentlich in Schutz nahm. 


Der deutsch-türkische Journalist wurde am 27. Februar 2017 wegen angeblicher Terrorpropaganda und Volksverhetzung in der Türkei festgenommen. Erst ein Jahr später, am 15. Februar 2018, bekam er einen Tag vor seiner Entlassung die offizielle Anklageschrift zugeschickt. Er saß also ohne handfeste Begründung im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9 in U-Haft. Was klingt wie ein mieser Scherz, ist spätestens seit dem Putschversuch 2016 traurige Realität im Umgang des türkischen Staates mit regierungskritischen Stimmen.

Dabei hatte Yücel, wie so viele andere auch, nur seinen Job gemacht. Seit Mai 2015 war als Auslandskorrespondent für die Tageszeitung »Welt« in Istanbul, machte Videos und schrieb Artikel, durchaus regierungskritisch, ein Charakterkopf und Querdenker eben. Doch ihm wurde zur Last gelegt, dass er Propaganda für die kurdische Arbeiterpartei PKK machen würde. Dabei hatte er lediglich über den Umgang mit den Kurden berichtet, stellte dazu auch noch unbequeme Fragen auf einer Pressekonferenz mit dem damaligen AKP-Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu und Angela Merkel. Angeklagt wurde er zudem, dass er den Völkermord an den Armeniern auch als solchen bezeichnete. Dafür wurden insgesamt 18 Jahre Haft gefordert.

Doch am Ende ist alles anders gekommen. Die komplette Geschichte hat Yücel in dem Buch »Agentterrorist. Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie« niedergeschrieben. Der reportagenartige Stil ermöglicht Yücel immer wieder zwischen persönlichen Schilderungen und politischen Analysen hin und her zu wechseln. Dabei unternimmt er auch Exkurse in die letzten 100 Jahre türkischer Geschichte, um das gegenwärtige Geschehen besser verständlich zu machen und die komplexen diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei anschaulich darzustellen. 


Viele Leser werden sich vielleicht überrumpelt fühlen von Begriffen, Abkürzungen und Namen, die ganz viele Üs und Ys haben, wie der Autor selber spöttelt. Doch diejenigen, die das nicht abschreckt, werden mit einem sehr gut recherchierten Buch belohnt, das interessante wie erschreckende Einblicke in die gegenwärtige Politik der Türkei ermöglicht. Von Verhaftungen und Entlassungen tausender Juristen und Journalisten, von Putschisten und Freiheitskämpfern, von diplomatischen Verhandlungen und Geheimtreffen, von einem gleichgeschalteten Regierungsapparat und fehlender Pressefreiheit. Ein durch und durch spannendes und lesenswertes Buch. 


(Dieser Text ist bereits im Dresdner Kulturmagazin erschienen.)

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