Wissenschaft ist zu einer Glaubensfrage geworden

Wissenschaft ist zu einer Glaubensfrage geworden
Kolumne von Stephan Zwerenz

Sicher ist im Internet jeder schon einmal auf Sätze gestoßen wie: „Alles Lüge? Sieh dir dieses Video an und urteile selbst!“ oder „So einfach kannst du die wissenschaftliche Lehrmeinung widerlegen.“ Natürlich weiß der aufgeklärte Internetbenutzer, wie er mit den vermeintlich seriösen Quellen „angesehener“ Wissenschaftler umgehen muss. Doch es scheint, dass sich immer mehr Menschen zu sogenannten Alternativ- oder besser gesagt zu Pseudowissenschaften hingezogen fühlen.

Das Bild stammt von Wikimedia Commons und zeigt „Flammarions Holzstich“, auch „Wanderer am Weltenrand“ genannt.
Das Bild stammt von Wikimedia Commons und zeigt „Flammarions Holzstich“, auch „Wanderer am Weltenrand“ genannt.

Wissenschaft ist zu einer Glaubensfrage geworden und diese soll nun anscheinend auch politisch beantwortet werden, jedenfalls was den menschengemachten Klimawandel oder den Einsatz homöopathischer Arzneimittel betrifft. Aber wie ist diese Skepsis zu erklären? Wieso haben die Menschen den Glauben in die Wissenschaft verloren? Und warum glaubt eigentlich jeder, Sachverhalte besser verstehen zu können als Menschen mit einem lebenslangen Expertenwissen.

Leugnung von Fakten zugunsten einer gefühlten Wahrheit

Ähnlich wie bei Anhängern von Verschwörungstheorien ist ein entscheidender Grund dafür die egomanische Selbstüberschätzung. Wenn sich etwa ein Egomane im Besitz einer besonderen Wahrheit glaubt, dann ist er von dieser Überzeugung nur schwer wieder abzubringen. Schließlich hat er sich ja gegen die verblendeten Massen erhoben, die willig an die Gehirnwäsche der machtbesessenen Eliten glauben. Gereinigt kann der Wissende von nun an dem kapitalorientierten Treiben der Menschen entgegentreten, gestärkt durch ein neues Selbstwertgefühl, mutig und aufrecht, die neue Erkenntnis verbreitend.

Selbstverständlich ist auch das Erleben einer gefühlten Wahrheit viel intensiver als die Auswertung von trockenen Fakten und Statistiken. Es kann schon vorkommen, dass zum Beispiel Gespräche im Vollrausch zu bahnbrechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen geführt haben. Man sollte aber sein Erweckungserlebnis am nächsten Morgen schon noch einmal auf Gültigkeit überprüfen, bevor man die neuen Einblicke ungefiltert ins Netz entlässt. Es könnten weniger reife Geister an die vermeintliche Wahrheit glauben und so die ungewollten Possen auch noch verbreiten.

Klimaleugnung als Wahlprogramm

Als die „Alternative für Deutschland“ im Frühjahr 2016 ihr erstes Grundsatzprogramm beschlossen hatte, war es ein regelrechter Skandal, dass eine Partei, die vermutlich in den Bundestag einziehen werde, wissenschaftliche Erkenntnisse komplett verleugnet. Mittlerweile hat man sich bereits daran gewöhnt, ja vielmehr ist die Leugnung des menschengemachten Klimawandels neben der Flüchtlingspolitik zum wichtigsten Standbein der Partei geworden.

Obwohl sich Studien zufolge zwischen 90 und 97 Prozent der weltweiten Wissenschaftler*innen einig sind, dass der Klimawandel eine Folge des menschlichen Handelns ist, bleibt die AfD eisern und unbelehrbar in ihrer Meinung. Sie wissen es einfach besser und erfinden sich trotzig ihre eigenen Wahrheiten dazu, nur um die eigene Unwissenheit nicht eingestehen zu müssen. Um ihre gefühlsmäßigen Überzeugungen pseudowissenschaftlich zu unterlegen, werden mitunter krude Theorien und Ausreden herangezogen, die teilweise jeglicher Ernsthaftigkeit entbehren.

Wenn Überzeugungen nicht mehr hinterfragt und wissenschaftliche Erkenntnisse konsequent verleugnet werden, bewegen wir uns in der Sphäre des Glaubens und die sollte in der Politik, in der es um irdische Prozesse und reale Konsequenzen geht, keine Rolle spielen. Folgerichtig dürften Klimaleugner eigentlich nicht mehr an der Debatte über den Klimawandel beteiligt werden. Denn das wäre in etwa so, als würde man beim Thema Rentenpolitik behaupten, es gäbe keine Überalterung der Gesellschaft. Wohin soll ein solches Gespräch führen? Und welche sinnvollen Lösungen sollen daraus erwachsen?

Geistartige Wesen

Eine ähnliche Glaubensfrage, die bereits in die politische Sphäre Einzug gehalten hat, ist die der Wirksamkeit von homöopathischer Medizin. Nach über 220 Jahren homöopathischer Medizingeschichte wurde kein einziger Beweis gefunden, der darauf schließen lasse, dass Globuli tatsächlich wirken; zumindest nicht über den Placebo-Effekt hinaus. Auch wenn dieser real ist und durchaus körperliche Reaktionen auslösen kann, ist das letztlich nicht auf das Medikament zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Psyche des Patienten.

Schon die Herstellung von Globuli mutet wie Scharlatanerie an. Zuckerkügelchen werden mit einer stark verdünnten Substanz beträufelt. Je stärker die Verdünnung, desto stärker das Medikament. Das Geheimnis bei der Herstellung dieser Arzneimittel stecke allerdings im richtigen Schütteln und Klopfen der Flüssigkeit, so die homöopathische Logik. Die Verdünnung ist mitunter so stark, dass von einem Wirkstoff auf atomarer Ebene nichts mehr übrigbleibt. Eine sogenannte D20-Potenzierung ist in etwa so, als würde man eine Aspirin-Tablette in den Atlantischen Ozean werfen.


Diese Herangehensweise widerspricht natürlich jeglicher pharmazeutischer und medizinischer Erfahrung. Selbst Homöopathen können sich die Wirkung nicht erklären. Sie verweisen stattdessen auf den Begründer Samuel Hahnemann, der behauptete, dass sich die Materie des Wirkstoffs „gänzlich in ihr individuelles geistartiges Wesen auflöse“.

Dem Wasser wird also eine Art Erinnerung unterstellt. Dieses müsste aber streng genommen, jegliche Eigenschaften annehmen, mit denen es jemals in Berührung kam. So würde es konsequenterweise aber zu unvorhergesehenen Wechselwirkungen kommen und die Theorie würde wiederum an Gültigkeit verlieren. Der Homöopath, der nämlich ein Glas Leitungswasser trinkt, stirbt folglich woran genau? Natürlich an einer Überdosis. 

Glaubenskrieg

Homöopathie fällt demzufolge in den Bereich der Mystik und Esoterik, wird aber im Gegensatz zu schamanistischer Geistheilung von der Krankenkasse bezahlt. Auch bei den Grünen hat die Frage nach homöopathischen Arzneimittel mittlerweile einen regelrechten Glaubenskrieg entfacht. Die Partei will bis Herbst 2020 ein neues Grundsatzprogramm ausarbeiten. Darin solle auch beschrieben werden, wie sich die Partei zum Thema Alternativmedizin positionieren will.

Eine geplante Kommission zu dem Thema wurde jedoch kurzfristig abgesagt, weil eine „vertrauensvolle und erfolgreiche Arbeit dieser Kommission nicht möglich ist.“ Zudem hätten die Debatten einen „aggressiven und teilweise polemischen Ton“ angenommen, wie der Bundesvorstand der taz erklärte. Es bleibt also weiterhin ungeklärt, wie die Grünen, die sich sonst immer sehr wissenschaftsnah präsentieren, mit dem Thema umgehen wollen.

Die Existenz stellt uns Fragen

Die Frage bleibt, weshalb scheinbar immer mehr Menschen den Glauben in die Wissenschaft verlieren. Sind die behandelten Themen zu komplex geworden, als dass Otto-Normal-Verbraucher sie durchdringen kann? Oder liegt es gerade daran, dass das Internet quasi jedem Laien Zugang zu Themengebieten eröffnet, die vorher nur Studierenden offenstanden? Beides führt unweigerlich zu einer Vergrößerung des „Schwurbelfaktors“.  

Zugegeben: wissenschaftliche Forschungsergebnisse sollten immer angezweifelt werden, da Ungereimtheiten in der Wissenschaftspraxis zum Alltag gehören. Diese auszumachen ist jedoch Teil der wissenschaftlichen Methode und wird bei jeder Veröffentlichung berücksichtigt. Dazu bedarf es keiner Laien, die den Experten unterstellen, sie würden nichts von ihrer Arbeit verstehen. 

Die Entzauberung der Welt stellt uns vor eine große Leere. Das Dasein scheint sinnlos und unnütz zu sein. Viele von uns hoffen daher wieder Zeichen und Wunder zu sehen, neue Hoffnungen und Perspektiven zu entdecken, die uns aus dem Alltagstrott herausreißen. Andererseits suchen wir gerade nach einem gewissen Maß an Kontinuität in dem unaufhaltsamen Voranschreiten des Weltgeschehens. Es geht über unsere Vorstellungskraft hinaus, dass Ökosysteme fragile Konstrukte sind und dass das menschliche Handeln den gesamten Planeten zerstören könnte. 

Zudem werden wir von der Gesellschaft ständig enttäuscht. Dass man den Pharmakonzernen nicht trauen darf, hat man quasi schon in der Schule gelernt, ähnlich sieht es mit Industrien aus, die andere vom Markt verdrängen wollen. Wir sind skeptisch geworden und können letztlich an gar nichts mehr glauben oder eben an alles. Und aus dieser Mischung von Angst und Hoffnung speist sich unser Aberglauben, der jedoch in der Politik nichts zu suchen hat. 

(aus der Kolumne bei Flurfunk)

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