Von Precrime bis postfaktisch – Polizeiarbeit in Sachsen
Von Precrime bis postfaktisch – Polizeiarbeit in Sachsen
Übersichtsartikel zum Sächsischen Polizeigesetz
Polizeigewalt und Rassismus bei der Polizei ist seit dem Tod des Afroamerikaners Georg Floyd aktueller denn je – auch in Deutschland und gerade in Sachsen. Vor etwa sechs Monaten ist hier das neue Sächsische Polizeigesetz (SächsPVDG) in Kraft getreten, das den Beamt*innen erstmals Mittel eines Nachrichtendienstes an die Hand gibt. Die neuen technischen und rechtlichen Möglichkeiten verlangen von der Polizei ein hohes Maß an Verantwortung, denn die neuen Polizeigesetze, die mit Bayern anfangend in allen Bundesländern nach und nach verschärft werden, bieten vor allem durch ungenaue Formulierungen viel Platz für persönlichen Machtmissbrauch und den nachlässigen Umgang mit sensiblen Daten.
Als Grund für die Neuerungen geben Politik und Behörden neue Bedrohungslagen an, die von der grenzüberschreitenden Kriminalität ausgeht, zum anderen von der Verlagerung terroristischer Aktivitäten in das Landesinnere; gemeint sind neben islamistischen Gefährdern, vor allem rechts- und linksextreme Netzwerke.
Während bei den politisch motivierten Straftaten eine Tendenz nach oben zu beobachten ist, sind die Zahlen der grenzüberschreitenden Kriminalität (sowie die Gesamtheit aller Straftaten) seit Jahren rückläufig, allerdings sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Zu den politisch motivierten Verstößen zählen auch Beschädigungen von Wahlplakaten. So sind etwa im letzten Jahr 80 Prozent der Straftaten gegen AfD-Wahlplakate der linksmotivierten Kriminalität zugeordnet worden. Politisch motivierte Gewaltdelikte gingen jedoch stark zurück.
Überdies haben die Polizeibehörden in den vergangenen Monaten nicht unbedingt für viel Vertrauen in der Bevölkerung gesorgt. Auch Beamt*innen der Sächsischen Polizei standen immer wieder unter Verdacht, mit rechtsextremen Netzwerken zu kooperieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Nicht nur am Image der Staatsgewalt zu arbeiten, sondern auch für geregelte Verhältnisse in den eigenen Reihen zu sorgen, ist das Mindeste, was man in Folge der neuen Gesetzeslage verlangen kann. Das gilt übrigens auch für Mitarbeiter*innen des Amtsgerichts, die an den Neuerungen partizipieren.
Was ist neu in Sachsen?
Mit der Gesetzesnovelle, die am 1. Januar 2020 in Sachsen in Kraft getreten ist, dürfen Emails und Handydaten ausgelesen, Gespräche inklusive Umgebungsgeräusche abgehört, Kontaktsperren verhängt, Personen durch elektronische Fußfesseln überwacht und Bewegungsprofile aufgezeichnet werden. Des Weiteren darf die Polizei fast das halbe Bundesland mit Kameras überwachen, die Gesichts- und KfZ-Erkennungssoftware verwenden. Polizeitruppen werden teilweise mit Bodycams ausgestattet und das SEK mit neuen Maschinengewehren und Handgranaten ausgerüstet.
Zu dem dystopischen Bild gesellt sich vor allem der Umstand, dass es das Gesetz nun auch erlaubt, dass sogenannte „gefahrenabwehrende Maßnahmen“ vorgenommen werden können, ohne dass überhaupt eine konkrete Straftat vorliegt. Es genügt der reine Verdacht, um den nötigen Antrag zu stellen. Dieser muss nur noch vom zuständigen Amtsgericht abgesegnet werden. Sobald allerdings „Gefahr im Verzug“ besteht, könne die richterliche Bestätigung auch nachgereicht werden, wie Jan Meinel vom Sächsischen Innenministerium schreibt.
Darüber hinaus ist es den Beamten auch möglich, eine zusätzliche Begleit- und Kontaktperson zu überwachen, die im Verdacht steht, von der geplanten Tat zu wissen oder gar an ihr beteiligt zu sein. Oder auch nur wenn die Person aus der Tat Vorteile ziehen könnte (was auch immer das im Einzelfall bedeuten kann). Dieser unbekannte Dritte könnte übrigens auch eine Journalistin, ein Arzt oder andere Geheimnisträger*innen sein, deren Überwachung von besonderem Interesse ist.
Precrime
Man sollte an dieser Stelle nochmals betonen, dass für die neuen Überwachungsmaßnahmen keine Straftat mehr vorliegen muss. Es reicht ausschließlich der begründete Verdacht aus. Man spricht bei dieser Art von Polizeiarbeit von „Predictive Policing“ oder auch von „Precrime“. Wer hierbei an den Film „Minority Report“ denkt, liegt goldrichtig. Es fehlen eigentlich nur noch die drei „Precogs“, die im Drogenrausch ihre Prophezeiungen dahinsäuseln. Die mysteriösen Orakel aus der Kurzgeschichte von Philip K. Dick werden in der Realität allerdings durch die Willkür von Polizeibeamt*innen und Algorithmen ersetzt.
„Predictive Policing“ bietet allerdings den idealen Ausgangspunkt für verfälschende Kriminalstatistiken. Nach dem Gesetz ist es nun erlaubt, in Sachsen sogenannte „Schleierfahndungen“ dort anzusetzen, wo Straftaten gehäuft stattfinden. Die Polizei darf in diesem Rahmen Personen auch ohne konkreten Verdacht durchsuchen und bei Bedarf bis zu 14 Tage in Präventivgewahrsam nehmen.
Racial Profiling
Wie dies in der Praxis aussieht, kennt vielleicht jeder, der in den letzten Jahren mit dem Flixbus nach Bayern gefahren ist. Die Polizei kontrolliert dort schon seit Jahren willkürlich Fahrgäste. Meistens werden Menschen herausgezogen, die ausländisch aussehen oder sich auffällig kleiden.
Diese werden vor den anderen Fahrgästen gedemütigt, da die Beamt*innen sie meist in deren Sichtweite durchsuchen und ihnen ihre Habseligkeiten präsentieren. Als Straftäter*innen gebrandmarkt, müssen sie sich dann den abschätzigen Blicken der Fahrgäste aussetzen, selbst wenn sie gar nichts verbrochen haben. Vor allem sich stets wiederholende Erfahrungen können auf manche Menschen nicht nur diskriminierend, sondern auch traumatisch wirken.
Diese Form von „Racial Profiling“ hat den Nebeneffekt, dass die eigenen ethnischen Vorurteile statistisch auch noch bestätigt werden, denn natürlich findet man häufiger verbotene Gegenstände bei Personengruppen, die man öfter durchsucht.
Mit computergestützten Verfahren wird dieses Vorgehen neuerdings sogar noch zusätzlich unterstützt. Bereits seit März 2019 wird in Leipzig (und damit erstmals in Sachsen) die Software „PRECOBS“ (Pre-Crime-Observation-System) eingesetzt. Das System wird mit Daten bereits begangener Straftaten gespeist, um vorherzusehen, wo zukünftige Verbrechen wahrscheinlich als nächstes stattfinden werden. In diesen Gebieten wird dann eine Schleierfahndung angesetzt.
Menschenrechte und Datensicherheit
Amnesty International kritisierte an einer Entwurfsfassung des neuen Polizeigesetzes (November 2018) gleich mehrere Verstöße gegen Menschenrechte. Auf keine der Kritikpunkte wurde in der endgültigen Fassung eingegangen. Noch immer ist nicht klar definiert, durch welches Verhalten Menschen ins Visier der Polizei geraten können. Wird überwacht wegen eines Postings in den sozialen Netzwerken, wegen Teilnahme an Demonstrationen oder aus einem Bauchgefühl heraus? Zudem verstoße das Gesetz gegen die Unschuldsvermutung, da Maßnahmen durchgeführt würden, ohne dass sich die Betroffenen zuvor strafbar gemacht hätten.
Beim Thema Datensicherheit fallen ebenfalls einige Graubereiche auf. Aufzeichnungen von Kameras, die eine Gesichtserkennungssoftware verwenden, werden zwar nach 96 Stunden wieder gelöscht. Allerdings werden von den Beamt*innen zuvor eigenständig Datenbanken mit Verdächtigen erstellt, deren Aufnahmen auch länger gespeichert werden müssen.
Ebenso wie alle anderen gesammelten Daten werden diese erst dann gelöscht, wenn sie für die „Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind“, wie Jan Meinel vom Sächsischen Innenministerium schreibt. Wie dehnbar diese Formulierung ist, hat die Berliner Polizei im vergangenen Jahr bereits bewiesen, der vorgeworfen wurde, illegales Data-Mining zu betreiben, da sie ihre Ermittlungsakten jahrelang nicht gelöscht hatten.
Kameras, die KfZ- und Gesichtserkennungssoftware verwenden, dürfen in 30 km Entfernung zur Grenze zu Polen und Tschechien aufgestellt werden. Das betrifft aber nahezu das halbe Bundesland. Karte mit freundlicher Genehmigung von Sachsens Demokratie. |
Zudem gibt es da noch das Computer-Fahndungssystem der Polizei POLAS (Polizei-Auskunfts-System), das auch im Zusammenhang mit den G20-Protesten in Hamburg für viel Verwirrung gesorgt hat. Aufgrund der Fehlinterpretation von Datenbankeinträgen wurden zahlreichen Journalist*innen Presseakkreditierungen entzogen.
Solche umfassenden Datensammlungen sind auch deshalb gefährlich, weil sie Ziele von Hackern werden können. Der große Cyberangriff auf das Berliner Kammergericht Ende letzten Jahres hat gezeigt, wie gefährlich zentrale Datenspeicher sein können. Vermutlich hatten Hacker Zugriff auf den kompletten Datenbestand des Kammergerichts, darunter auch Akten von Terrorprozessen, Namen, Adressen und Aussagen von Informantinnen, verdeckten Ermittlern, Täterinnen, Opfern und Zeugen.
Rechtsextreme Polizist*innen
Auch bei der Polizei kommt es in der gesamten BRD immer wieder zu Datenleaks und Datenmissbrauchsfällen in den Polizeibehörden, sei es zum Beispiel in Berlin, Hamburg, Greifswald, Frankfurt oder Chemnitz. Meistens wurden die Systeme dazu benutzt, um Privatpersonen auszuspionieren. Besonders besorgniserregend sind solche Fälle aber vor allem dann, wenn empfindliche Daten an rechtsextreme Netzwerke abfließen oder in den sozialen Medien geteilt werden.
Wenn Extremisten in unseren Sicherheitsbehörden sitzen und Terroristen unterstützen, dann haben wir ein ernstzunehmendes Problem. Das hat mittlerweile auch das Bundeskriminalamt erkannt und fordert dafür härtere Strafen. Anhand der Häufigkeit der Fälle kann man allerdings nicht mehr von Einzelfällen reden. Der Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang spricht mittlerweile „von zu vielen Einzelfällen“ und rät den Polizeichefs Nachforschungen anstellen zu lassen.
Einer umfangreichen Recherche des Deutschlandfunks zufolge gebe es in den letzten Jahren eine Häufung von Fällen des Rechtsextremismus unter Polizeibeamten, die auf ein Netzwerk in Polizeikreisen schließen lasse. Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaft, spricht hingegen von „Milieus in der Polizei, die rechtsgerichtet sind“. Die Anzahl der Fälle lasse ihm zufolge nicht die Schlussfolgerung zu, dass es einen Rechtsruck bei der Polizei gebe, wie Friedrich Merz behauptete.
Allerdings gebe es Hinweise auf gewisse Tendenzen und ein verändertes Klima, das auch mit der Politik der AfD in Zusammenhang stehe. Diese werbe nämlich gezielt bei deutschen Sicherheitsbehörden, beeinflusse das Gesprächsklima zu ihrem Vorteil und biete Aufstiegschancen sowie politischen Einfluss. Dementsprechend seien auch verhältnismäßig viele Polizisten und Soldaten bei der AfD zu finden.
Seitdem der rechtsextreme „Flügel“ der AfD vom Verfassungsschutz beobachtet wird, kann das allerdings zum Problem für die Beamt*innen werden, was nicht nur zu Disziplinarverfahren führen kann, sondern auch mit einem Imageverlust der Polizeibehörden einhergeht. Für mehr Vertrauen können die Behörden aber nur sorgen, wenn sie klare Kante gegen Extremisten und Rassisten in der eigenen Behörde zeigt. In vielen Fällen ist dies allerdings rechtlich nur schwer zu begründen, weil sich die Täter*innen noch am Rande der Gerichtsbarkeit bewegen und der Beamtenstatus eine harte Bestrafung aufgrund der „Fürsorgepflicht“ im Einzelfall verhindern kann.
Der Fall Steffen Janich
Auch die Polizei Sachsen steht mal wieder in keinem guten Licht da, nachdem der Polizeibeamte Steffen Janich am 22. April illegal eine Demonstration gegen Einschränkungen in der Corona-Krise in Pirna organisierte, an der sich etwa 180 Menschen beteiligten. Gegen Janich wurde noch am selben Tag ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Zudem prüfe die Polizeidirektion Dresden, ob ihm die Dienstgeschäfte entzogen werden sollten.
Angeblich hatte der 49-Jährige wohl nur mit fünf Freunden einen „Spaziergang“ unternehmen wollen, dem sich aber nach und nach immer mehr Menschen anschlossen. Allerdings hatte Janich, der für die AfD im Kreisrat sitzt und zugleich Gemeinderat in Dohma ist, schon mehr als eine Woche zuvor den „Spaziergang“ in den sozialen Medien beworben. Später folgten weitere Proteste, die andere AfD-Politiker organisierten. Dabei wurden immer wieder Polizisten Ziele für Pöbeleien, Provokationen und Angriffe.
Hinter „Corona“ sieht Janich eine Verschwörung, die es zum Ziel habe, die „Einheit unserer Gesellschaft zu zersetzen.“ So schreibt er auf seiner Facebook-Seite, die voll mit weiteren Verschwörungstheorien und rassistischer Hetze ist. Darunter sind etwa Posts zu finden wie „Hat mal jemand ne Zeckenzange. Es nimmt hier überhand“. Und es wird auch mal der Gefällt-mir-Button gedrückt, wenn ein anderer User unter dem eigenen Post eine Ku-Klux-Klan-Kapuze teilt, die mit „Ich habe auch eine Maske bestellt“ unterschrieben ist.
Außerdem werden antisemitische und fremdenfeindliche Verschwörungstheorien geteilt, die mal den Juden George Soros als Teufel darstellen oder mal behaupten, der rechtsextreme Anschlag in Hanau sei in Wirklichkeit ein Clan-Krieg gewesen, der nun von der Regierung vertuscht werde. Damit stellt er nicht zuletzt auch die eigenen Kolleg*innen als Lügner hin.
Es ist schon erschreckend, dass solche Inhalte von Polizistinnen und Politikern über Monate hinweg geteilt werden, ohne dass daraus rechtliche Konsequenzen gezogen werden. Allerdings gehört die postfaktische Argumentation auch irgendwie zum Image der AfD, doch für die Polizeiarbeit sollte sie ein absolutes No-Go sein, vor allem wenn sie sich am Rande des Legal-Sagbaren bewegt und die eigene Regierung, ethnische Minderheiten, politisch Andersdenkende und selbst die eigenen Kolleg*innen zu Feindbildern erklärt. Solche Einstellungen lassen sich nur schwer mit der Treuepflicht des Beamten vereinbaren.
Polizei Sachsen 2020
Doch wie sieht es im Allgemeinen mit der Polizeiarbeit in Sachsen aus? Man müsste doch vermuten, dass die Sächsische Polizei mit den umfassenden Neuerungen des Sächsischen Polizeigesetzes versucht, für mehr Vertrauen in der Bevölkerung zu sorgen. Doch wenn man die Vorfälle allein in diesem Jahr aufführt, wird man eines Besseren belehrt.
So wurde Munition der sächsischen Polizei bei dem rechtsextremen Terrornetzwerk Nordkreuz gefunden, zu dem ohnehin zahlreiche Polizisten zählen. Diese haben sich übrigens auch ihrer Dienstcomputer bedient, um Todeslisten politischer Gegner zusammenzustellen.
Dann gab es noch den Fall von den Kommissaranwärtern, die in der Bautzner Polizeischule Naziparolen aus dem Fenster geschrien haben. Und zu guter Letzt noch die Geschehnisse aus der Leipziger Silvesternacht. Hier war es zu Krawallen im linksextrem geprägten Stadtteil Connewitz gekommen. Angeblich musste ein Polizist „notoperiert“ werden. Alle sprachen plötzlich von der „Gefahr des Linksextremismus“.
Im Nachhinein hatte sich aber herausgestellt, dass die Polizei Leipzig Falschmeldungen verbreitete. Zudem sind Videos aufgetaucht, die vor allem übertriebene Polizeigewalt zeigten. Es entstand teilweise sogar der Eindruck, die Polizei habe absichtlich provoziert, um Personalien einzuziehen. In linken Kreisen kam es daher zu dem Verdacht, dass in Connewitz gezeigt wurde, wie die Befugnisse des neuen Polizeigesetzes ausgenutzt werden können.
Gegenmaßnahmen
Zusammengenommen ist das nicht unbedingt ein vertrauenerweckendes Bild, das von der Polizei ensteht. Außerdem bleibt die Frage offen, wie sich Sachsens Polizei vor Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit dem neuen Polizeigesetz schützen will. Ernstgemeinte Bestrebungen in diese Richtung sind jedenfalls nicht zu erkennen.
Auf Anfrage an das Innenministerium ist vor allem von technischen Sicherheitskontrollen die Rede, um die Weitergabe von Daten zu unterbinden. Letztlich gibt es aber keine Absicherung dafür, dass Informationen vielleicht doch an Dritte weitergeleitet oder Befugnisse von Gesinnungsgenossen in den zuständigen Amtsgerichten abgesegnet werden.
Auch Polizeipräsident Horst Kretzschmar räumt im Interview mit der ZEIT ein: „Die Polizei kann für rechte Tendenzen anfällig sein. Das liegt in der Natur unserer Tätigkeiten.“ Schließlich gibt er den angeblich viel aggressiveren linken Gegendemonstranten eine Mitschuld an der politischen Haltung vieler Polizist*innen.
Laut Kretzschmar seien nämlich die meisten Beamt*innen gedanklich eher auf der linken Seite, würden aber durch die permanenten Provokationen von links an ihrer eigenen Haltung zweifeln. Die linken Gegendemonstranten aber wissen um die rechten Strukturen bei der Polizei und sehen sich dadurch provoziert.
Ein Teufelskreislauf, den man nur auflösen könne, wenn man den Beamt*innen ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbringt. Nichtsdestotrotz sieht Kretzschmar Nachholbedarf bei der Ausbildung der Polizist*innen in den Bereichen der politischen Bildung.
Polizei und journalistische Arbeit
Auch der Deutsche Journalisten Verband (DJV) schließt an das Thema Bildung an und kooperiert deshalb seit vergangenem Jahr mit der Polizei Sachsen, weist aber auch Journalist*innen darauf hin, „Meldungen und Informationen der Polizeibehörden in allen Fällen kritisch zu hinterfragen.“
Bei der Weiterbildung von Polizist*innen durch den DJV Sachen gehe es vor allem darum, Problemfelder zu beleuchten, die im Zusammenhang von journalistischer Arbeit und Polizeiarbeit insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen und Demonstrationen entstehen.
Gerade dort kommt es immer wieder zu Einschränkungen der Pressefreiheit durch Behinderung der Journalist*innen (man denke hierbei etwa an den Dresdner „Hutbürger“, der auch noch selbst beim LKA gearbeitet hat), aber auch von Fällen unangemessenen Verhaltens und Polizeigewalt.
Ausblicke
Im Januar 2020 wurde deshalb auch in Sachsen eine Beschwerdestelle für die Polizei eingerichtet, die der Staatskanzlei zwar organisatorisch zugeordnet ist, aber unabhängig arbeitet. Das entspricht auch den Forderungen, die Amnesty International bereits seit vielen Jahren an die Polizeibehörden stellt.
Zudem wurde eine „anonymisierte Wechselkennzeichnung“ für Polizist*innen in Sachsen eingeführt, womit die Strafverfolgung von Beamt*innen auch in unübersichtlichen Lagen nachvollzogen werden kann.
Außerdem wurde im vergangenen Jahr eine neue „Soko Rex“ gegründet, die Druck auf die rechte Szene ausüben will und einen besonderen Schwerpunkt auf Internetfahndung legt. Dafür soll auch ein sogenanntes „computerbasiertes Radikalisierungsfrüherkennungssystem“ eingerichtet werden. Folgerichtig wurde auch eine „Soko LinX“ mit etwa halb so vielen Mitarbeiter*innen eingerichtet.
Fazit
Mit dem neuen Polizeigesetz sind auch neue Machtstrukturen entstanden, die dazu verleiten, zu politischen Zwecken ausgenutzt zu werden. Da Teile der Polizei von rechtsextremen Netzwerken unterwandert sind, ist das mindeste, was die Polizei tun kann, in ihren eigenen Reihen aufzuräumen. Dazu gehört es in erster Linie, Fehler einzugestehen und in nächster Instanz dann die strukturellen Gegebenheiten zu verändern.
Bemühungen, schwarze Schafe aus dem Staatsdienst zu entlassen, sollte in erster Linie von der Polizei selbst kommen. Allein schon aus dem Grund, weil eines der Ziele der Gesetzesnovelle auch die Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus ist. Die Beamt*innen müssen sich der neuen Verantwortung bewusst sein und auch nach außen hin signalisieren, dass sie der Treuepflicht der freiheitlich demokratischen Grundordnung nachkommen.
Letztlich aber ist der Kampf gegen Extremismus und Kriminalität keine Aufgabe, die allein der Polizei zufällt, sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bürgerinnen und Bürger müssen einander vertrauen können und Formen des gesellschaftlichen Miteinanders schaffen, die Überwachungsmaßnahmen unnötig machen.
Natürlich würde es der Demokratie besser stehen, wenn wir keine strengeren Gesetze bräuchten, um das richtige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zu schaffen. Natürlich muss sich die Polizei den technischen Entwicklungen anpassen, um ihren Job vernünftig zu erledigen. Am Ende darf aber nicht unser Wille zur Sicherheit über den Menschenrechten stehen.