Ein Recht auf Gewalt?

Ein Recht auf Gewalt?
Über die Sonderausstellung im Militärhistorischen Museum

Das Gemälde »Die Freiheit führt das Volk« von Eugène Delacroix zeigt eine barbusige Frau, die mit der Waffe in der Hand über Leichenberge steigt und heroisch die französische Flagge schwenkt. Bilder von Frauen, die sich an Kriegshandlungen beteiligen, scheinen in der Kulturgeschichte eher die Seltenheit zu sein. Vertraut sind sie uns meist nur in verklärter Form, eben wie im Falle von Delacroix, oder auch in den Darstellungen anderer Staatsallegorien wie etwa der Germania, der Helvetia oder der Britannia. Das Bild der Soldatin kennen wir aus den Medien höchstens noch von Befreiungsarmeen, weniger von stehenden Heeren. Doch wie kam es, dass der Frau eher die Rolle der friedliebenden Haushälterin zugeschrieben und ihr die Teilnahme an Kriegshandlungen verboten wurde, während vom Mann regelrecht erwartet wurde, sich notfalls mit Gewalt durchzusetzen?

Dieses Bild stammt aus der Pressemappe des Militärhistorischen Museums.

Die lang erwartete Sonderausstellung im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr (MHM) geht dieser Frage schon im Titel nach und hinterfragt die gängigen Rollenklischees: »Gewalt und Geschlecht. Männlicher Krieg – Weiblicher Frieden?« Das Resultat kann sich sehen lassen: Auf über 2.000 Quadratmetern drängen sich etwa 800 Exponate und Medienstationen aus 14.000 Jahren Menschheitsgeschichte. Kleinteilig und ausgesprochen textlastig versuchte der Chefkurator Gorch Pieken eine Unmenge an Informationen und Sichtweisen unterzubringen, »um einen Diskurs zu eröffnen, auf den andere aufbauen können.« Die Ausstellung wirkt dadurch zunächst recht chaotisch, auch wenn sie in fünf Akte, einen Monolog und Epilog aufgeteilt ist. Wirklich aufzugehen scheint das Konzept aber erst in dem 650 Seiten starken Katalog, der durch einen 350-seitigen Essayband ergänzt wird. Durch die mosaikartige Struktur sei es den Besuchern selbst überlassen, welche Teile sie ansehen und welche nicht. Es ergibt sich ein Gesamtbild, das ohnehin nie ein vollständiges sein kann. Wer sich allerdings intensiver mit der Ausstellung beschäftigen will, dem sei angeraten, viel Zeit mitzubringen oder sich den Katalog zu kaufen.

 

Das MHM will mit seinen Ausstellungen neben Zivilpersonen natürlich auch Soldaten und Soldatinnen ansprechen, doch auf die Frage, an wen sich die Ausstellung vordergründig richtet, antwortet Gorch Pieken im Interview: »Die Thematik richtet sich eigentlich an jeden Menschen, denn jeder muss sich mit seinem eigenen Geschlecht auseinandersetzen und wird in irgendeiner Form mit Gewalt konfrontiert.« Dementsprechend vielseitig wurde die Ausstellung auch gestaltet, dementsprechend willkürlich wirkt aber auch die Auswahl der thematischen Untersuchungsschwerpunkte. Die Bundeswehr legt dabei besonderes Interesse darauf, die Rolle der Frau in Kriegszeiten zu reflektieren. Das ist auch eine historisch wichtige Fragestellung, wenn man die Geschichte des Menschen als eine Geschichte des Krieges zu erzählen versucht. Denn dann wird schnell klar, dass hier meist von »großen Männern« die Rede ist, die sich in Kriegszeiten als besonders wichtig und ruhmreich hervorgetan haben. Kriege und Gewalt waren oftmals die einzige Möglichkeiten, um sich Rechte in der Gesellschaft zu erstreiten. 


Auch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im 19. Jahrhundert war eng mit dem politischen und gesellschaftlichen Mitspracherecht, sogar unmittelbar mit dem Wahlrecht verbunden. Frauen wurde es verboten sich an Kriegshandlungen zu beteiligen. Dementsprechend hatten sie auch kein Mitspracherecht. Und auch wenn Frauen schon länger wählen durften, stehen ihnen erst ab 2001 alle Laufbahnen in der Bundeswehr offen, was vor allem auch für die Gleichberechtigung in den Köpfen wichtig ist. 

Dass diese Öffnung jedoch nicht gänzlich ohne Vorurteile vonstatten geht, ist der Bundeswehr durchaus bewusst. Dementsprechend ambivalent liest sich die Ausstellung an manchen Stellen auch wie eine Werbeveranstaltung für Frauen bei der Armee. Vor allem für die Beteiligung an den modernen Technikkriegen werden immer wieder gute Gründe gesucht, die die Frau als gleichwertigen, wenn nicht sogar als den überlegenen Soldaten darstellt (Frauen sind etwa statistisch gesehen die besseren Schützen). Dementsprechend wird auch ein geschichtlicher Abriss gewagt, der zeigen soll, dass sich Frauen schon seit jeher an Kriegshandlungen beteiligtet haben. Meist aber wurden diese nicht ausreichend geschichtlich aufgearbeitet, um Frauen im Nachhinein gesellschaftlich mehr oder weniger bewusst zu unterdrücken. 


Aus verschiedenen Perspektiven ist die Ausstellung »Gewalt und Geschlecht« als ein wichtiger Impuls auf dem Weg zur Gleichberechtigung zu betrachten, zudem ist der Grundtenor durchaus pazifistischer Natur und entspricht gängigen feministischen Ansichten und Diskursen. Frauen und das Wehrrecht sind jedoch ein zweischneidiges Schwert. Das gab auch Alice Schwarzer schon 1979 zu bedenken: »Ich bin gegen die Bundeswehr. Und ich bin gegen einen von der Männergesellschaft diktierten Ausschluß von Frauen beim ›Dienst an der Waffe‹. Nicht einfach, ich weiß.« 

Definitiv wird durch die von Gorch Pieken angestoßene Forschungsarbeit die Geschichte der Frau auf vielfältige Weise in ein neues Licht gerückt, und nicht nur was die Rollenzuschreibungen der Frau, sondern auch denen des Mannes betrifft. Zudem untersucht die Ausstellung zahlreiche Formen von Gewalt und Herrschaft und geht damit auch weit über die klassischen Genderthemen hinaus. 


Weitere Informationen unter: www.mhmbw.de 
Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 30. Oktober. 
Öffnungszeiten Mo 10 – 21 Uhr, Di – So 10 – 18 Uhr, Mittwoch geschlossen 


(Dieser Text ist in ähnlicher Weise bereits im Dresdner Kulturmagazin erschienen.) 
 
Über die Schwerpunktsetzung und die Komplikationen in der Planungsphase der Ausstellung



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