»Es fehlt an Visionen von unten«

»Es fehlt an Visionen von unten«

Am Montag, den 17. September 2018 hat die zweite Ausgabe der Gesprächsreihe »Streitbar!« im Kulturpalast Dresden stattgefunden. Der Schriftsteller Marcel Beyer, der Theologe Frank Richter und der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen diskutierten auf Einladung des Kulturhauptstadtbüros Dresden 2025 und den Städtischen Bibliotheken über das Thema »Von der Meinungsfreiheit zur Grenzüberschreitung«. Moderiert wurde das Gespräch von Andreas Berger, dem Ressortleiter Kultur von MDR Sachsen.

Marcel Beyer, Andreas Berger, Frank Richter und Bernhard Pörksen im Gespräch.

Im Vergleich zur ersten Ausgabe von »Streitbar!«, in der Uwe Tellkamp und Durs Grünbein in eine kontroverse Diskussion verstrickt waren und die aufgrund rechter Entgleisungen Tellkamps auch für anhaltenden Gesprächsstoff in den Medien sorgte, verlief die gestrige Podiusmdiskussion sehr gesittet. Ohne Augenwischerei gegenüber dem ernsten Thema bewahrten sich die Podiumsteilnehmer im gemeinsamen Gespräch auch ihren Humor. Laut Pörksen, der extra aus Tübingen angereist war, sei der Humor schließlich einer der wenigen Möglichkeiten, um sinnvoll gegen den Hass in Netz und Gesellschaft vorgehen zu können. Drei weitere Optionen, die er als Gebote in seinem Eingangsstatement aufzählte, seien die Abschaffung der »Fertigbilder« in den Köpfen der Diskursteilnehmer, das Unterdrücken einer vorschnellen Generalisierung und das Einräumen multipler Geschichten von Ereignissen. Erst dann könne verhindert werden, dass der öffentliche Diskurs übertrieben emotional geführt würde. Denn gerade diese übertriebenen Emotionen seien laut Pörksen der Grund für Ressentiments, Ablehnung und Gewalt. 

Ähnlich beschrieb das auch Frank Richter, der als oberstes Prinzip einer funktionierenden Demokratie die Mischung aus »Empathie und Perspektivenwechsel« nannte. Erst wenn wir lernten die Anderen nicht nur zu tolerieren, sondern auch zu verstehen, würden wir wirklich miteinander reden können. In der Vergangenheit hatte Richter in dem Format »KiD – Kommune im Dialog« der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung unzählige Gespräche mit Bürgern über ihre Sorgen und Ängste geführt. Er bekräftigte abermals, dass es zu nichts führe, wenn man auf »Ausgrenzung mit Ausgrenzung« reagiere. Vielmehr müsse man mit den Menschen reden und ihnen Möglichkeiten an die Hand geben, wieder an der Gesellschaft zu partizipieren. Viele Menschen kämen zu ihm, die sich als die »Fußabtreter der Nation« wahrnehmen, die eine geringe Rente bekommen und ihr Leben in dem Gedanken fristen, Bürger zweiter Klasse zu sein. Daher könne Richter auch den Satz »Deutschland geht es besser als jemals zuvor« einfach nicht mehr hören. Schließlich sehe die gesellschaftliche Realität anders aus. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe immer weiter auseinander. Das sei das eigentliche Problem in unserem Land. Auch wenn das aktuelle »demokratische System das beste ist, das wir je in diesem Land hatten«, sei das noch lange kein Garant dafür, dass die Gesellschaft auch eine bessere geworden sei.


Während sich der Schriftsteller Marcel Beyer an diesem Abend auffällig ruhig verhielt und den digitalen Raum als die Erweiterung der Kneipe beschrieb, in der sich die Akteure nunmehr im übertragenen Sinne die »Nasen blutig schlagen«, betonte Pörksen, dass sich die Menschen einem sozialen Druck ausgesetzt fühlten, sich aufgrund der neuen Kommunikationstechnologien an den politischen Debatten beteiligen zu müssen. Beyer blieb bei seinem Bild und fand gerade in der einseitigen Kommunikation im Netz eine Ursache für die emotionalen Grenzüberschreitungen. Pörksen stimmte ihm zwar bedingt zu, legte aber im Gegensatz zu Beyer große Hoffnungen in die Digitalisierung. Diese mache uns alle zu Redakteuren unserer eigenen Recherchen. Wir müssten nur lernen, vernünftig mit Quellen umzugehen und Fake News von Fakten zu unterscheiden, dann wären wir auch fähig, sinnvoll an den öffentlichen Debatten teilzunehmen. Allerdings sähe die Lage momentan eher so aus, dass die Vielzahl an Informationen die meisten Menschen verunsichere und viele dazu neigten, Falschinformationen aufzusitzen.

Eine Zuschauerin machte im anschließenden Publikumsgespräch die Podiumsteilnehmer darauf aufmerksam, dass die sogenannten »Abgehängten« unserer Gesellschaft nicht zwangsläufig AfD-Wähler seien und viele bei der AfD auch nicht zu den »Abgehängten« zählen würden. Das sei eine fehlerhafte Argumentation. Frank Richter pflichtete ihr bei und bedauerte, dass man diese Diskussion aus zeitlichen Gründen leider nicht mehr vertiefen könne, aber in Zukunft gezielter genau darüber reden müsse. Einem anderen Zuschauer sagte er, dass es der Gesellschaft an positiven »Visionen von unten« fehle. Erst diese Graswurzelbewegung im Denken hätte auch die friedliche Revolution von 1989 möglich gemacht und sei nun auch notwendig, um gesellschaftliche Probleme angehen und verbessern zu können.


(Text und Bilder entstanden für das Dresdner Kulturmagazin.)

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